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In der chinesischen ­Unruheprovinz Xinjiang ­bereiten sich die Menschen auf das Jahr des Pferdes vor.

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Das chinesische Sprichwort "Tianma Xingkong" bedeutet: "Ein himmlisches Ross galoppiert durch die Lüfte." Seit der Yuan-Dynastie vor mehr als 1000 Jahren ist das Bonmot im Gebrauch. Es ist das unberechenbare Element in der chinesischen Psyche und passt auf 2014, ein Jahr, das im zyklischen Zeichen von "ma", dem Pferd, steht.

Als Reit- oder Arbeitstier werden ihm nur positive Eigenschaften zugesprochen. Es ist schnell, ausdauernd, genügsam und kräftig. Es ist ideales Symbol für das Wendejahr in China, wenn die KP darangeht, ihre im November beschlossene Reformversion 2.0 umzusetzen. Mit mehr Markt will sie das verkrustete Altmodell von Exportproduktion, Staatsinvestitionen und Billigarbeit aufbrechen. Ziel ist eine nachhaltige, effiziente, innovative und binnenmarktorientierte Wirtschaft. Nur mit ihr kann China auf Dauer eine weltumspannende Finanz-, Handels- und Wirtschaftsmacht werden und bleiben. Die Weichen dafür werden 2014 gestellt.

Das Himmelspferd steht dagegen für Ungezähmtheit und großen Freiheitswillen. Auch dazu wird es im Jahr 2014 in China jede Menge Anlässe geben. Sie versprechen so brisant zu werden, dass die kommunistische Führung den erwarteten Debatten jetzt schon Zügel anlegen lässt.

Politisch heikle Fragen

Pekings Politiker stehen etwa vor der Frage, ob sie aus Parteiräson und Sorge um ihren Machterhalt weiterhin die Aufarbeitung des Tiananmen-Massakers vom 4. Juni 1989 unterdrücken sollen. Seit einem Vierteljahrhundert schleppen sie diese Hypothek mit sich herum. Politisch heikel wird auch der 60. Jahrestag der am 20. September 1954 aus der Taufe gehobenen ersten Verfassung der Volksrepublik. Viele ihrer weitgefassten menschen- und staatsrechtlichen Maximen stehen bis heute nur auf dem Papier. Dutzenden Bürgerrechtlern, die für ihre Verwirklichung friedlich streiten, wie etwa Xu Zhiyong, werden zur Abschreckung gerade Prozesse gemacht.

Auch Pekings repressive Tibetpolitik, die zu inzwischen 129 Selbstverbrennungen aus Protest führte, wird im März erneut ins Visier der Kritik geraten. Dann jährt sich der tibetische Aufstand von 1959 zum 55. Mal. Seither lebt der geächtete Dalai Lama im Exil. Weiterhin streng tabuisiert ist auch jede Debatte über die seit Juli 1999 als krimineller Kult staatlich verfolgte Meditationsschule Falungong.

Zwei Gedenktage werden 2014 die Öffentlichkeit besonders umtreiben. Sie sind geeignet, Pekings Versprechen, in friedlicher Weise eine neue Weltmacht zu werden, auf den Prüfstand zu stellen. Vor einem halben Jahrhundert, im Oktober 1964, zündete China seine erste Atombombe. Heute ist die Volksrepublik die Einzige unter den fünf großen Atommächten, die ihr Arsenal ausbaut.

Ein anderes Jubiläumsdatum wird nationalistisch-patriotische Assoziationen wecken, die in Asien mit größter Aufmerksamkeit verfolgt werden: Im August 1894 brach der erste chinesisch-japanische Krieg aus. Seine Folgen wirken nach – von den tiefen Wunden durch den Zweiten Weltkrieg bis zum heute wieder sehr angespannten Verhältnis zwischen Peking und Tokio. Vor 120 Jahren verlor China den Krieg, bei dem es zugleich einen Großteil seiner Flotte einbüßte. Taiwan wurde damals japanisch.

Brisanter Territorialstreit

Der Hintergrund ist brisant. Die Volksrepublik baut ihre Marinepräsenz aus, alle Nachbarstaaten, besonders Japan, rüsten auf. Noch nie war die Gefahr so groß, dass ein kleiner Zwischenfall einen ernsthaften Konflikt provoziert. Es gärt in der Gemengelage um das zwischen China, Japan und vielen Anrainerstaaten territorial umstrittene Ost- und Südchinesische Meer. 2014 könnte sich entscheiden, ob sich das ungestüme Himmelspferd vor den Karren der Reformen spannen lässt oder ob es zum Streitross wird.  (Johnny Erling aus Peking/DER STANDARD, 31.12.2013)