Belgrad - Eine düstere Stimmung ist in Serbien zum Jahresbeginn spürbar. Das Jugoslawien Slobodan Milosevics steht allem Anschein nach vor dem Zerfall. Das Belgrader Regime scheint indes bereits an rechtlichen Grundlagen zu basteln, um auch einen nächsten, kleineren Staat als "Jugoslawien" bezeichnen zu können. Die meisten Einwohner der Bundesrepublik Jugoslawien dürften verwirrt sein. Nur das vom Belgrader Regime stark betonte "Jugoslawentum" ist eine Konstante, alles andere scheint ständigen Wandlungen zu unterliegen. Der Rechtsberater des jugoslawischen Staatschefs, Vladan Kutlesic, liess vor Wochen wissen, dass Jugoslawien auch nach einer eventuellen Loslösung Montenegros weiterbestehen würde. In Beobachterkreisen werden die nicht näher erläuterten Behauptungen von Kutlesic als sicheres Zeichen dafür gewertet, dass im Kreis um den jugoslawischen Staatschef, der beim Zerfall des föderalen Staates ohne Aufgabenbereich bleiben würde, darüber nachgedacht werde, wie Serbien zum Bundesstaat erklärt werden könnte. Ob der serbische Vizepremier und Ultranationalistenführer, Vojislav Seselj, in die Überlegungen im Kabinett von Milosevic eingeweiht ist, ist ungewiss. Seselj hatte nämlich mit der Verhängung des Ausnahmezustandes in Montenegro gedroht, sollte die Führung der kleineren Republik die im Jahre 2000 fälligen Wahlen zum Bundesparlament boykottieren. Nach Ansicht von Seselj müsse Belgrad "mit allen Mitteln" eine Abspaltung Montenegros verhindern. Einen ganz anderen Standpunkt hatte am letzten Freitag der jugoslawische Präsident vertreten. Das montenegrinische Volk habe das Recht zu entscheiden, was am besten für es sei, hatte Milosevic erklärt. Seine Äußerung wurde in Podgorica mit Zurückhaltung und Skepsis aufgenommen. Aussagen Milosevics "keinen Groschen wert" Der Spitzenfunktionär der regierenden montenegrinischen Partei der Demokratischen Sozialisten, Miodrag Vukovic, meinte in einer ersten Reaktion, die Äusserung von Präsident Milosevic dürften nicht getrennt von den Drohungen Seseljs gesehen werden. Für den montenegrinischen Vizepremier, den Chef der Volkspartei, Novak Kilibarda, sind die Aussagen von Milosevic aber "keinen Groschen wert". Montenegrinische Spitzenfunktionäre hatten für dieses Jahr ein Referendum über die staatliche Unabhängigkeit der kleinen jugoslawischen Republik angekündigt, sollte das offizielle Belgrad die von Podgorica geforderte Umgestaltung der derzeitigen Föderation nicht zulassen. Milosevic hatte in seinem Interview für die regimenahe Belgrader Tageszeitung "Politika" eine Verfassungsänderung nicht ausgeschlossen, ohne dies allerdings näher zu präzisieren. Das offizielle Belgrad war im Jahre 1998 um eine Verfassungsänderung bemüht. Sie sollte das Amt des föderalen Staatschefs festigen und eine weitere Zentralisierung des Staates sichern. Die Initiative Belgrads war damals jedoch in Podgorica auf eine totale Ablehnung gestoßen. Zahlreiche Unklarheiten In der im April 1992 verkündeten Bundesrepublik Jugoslawien herrschen indes zahlreiche Unklarheiten. Der Durchschnittsbürger könnte nur schwer sagen, wie genau die Staatsgrenze verläuft und ob das Kosovo eine serbische Provinz ist oder nicht. In der kleineren der beiden jugoslawischen Republiken - Serbien und Montenegro - werden die föderalen Behörden nicht mehr anerkannt, auch die staatliche Währung wird nur ungerne angenommen. In Belgrad residiert die in Montenegro nicht anerkannte föderale Regierung, die im Volksmund schlicht als "Zweitregierung Serbiens" bezeichnet wird. Kein Wunder, wenn sich unter die Gratulanten, die sich anlässlich des neuen Jahres beim jugoslawischen Staatschef und seiner Gattin Mira Markovic angestellt haben, auch "Baron Münchhausen" gemischt hat. Auf der Neujahrskarikatur der Wochenzeitschrift "Vreme" sind auch andere längst verstorbene "Bewunderer" des Belgrader "Meistertaktikers" zu sehen - allen voran der frühere rumänische Staatschef Nicolae Ceausescu, gefolgt von Mao Zedong und Josef Stalin. (APA)