London - Der Selbstmord des im Dienste der britischen Regierung stehenden Waffenexperten David Kelly hat den britischen Premierminister Tony Blair in seiner Rechtfertigung des Irak-Krieges in schwere Bedrängnis gebracht. Nachfolgend eine Chronik der Ereignisse, die mit einem BBC-Bericht begannen. Darin wurden Regierungskreise mit den Worten zitiert, Blair habe sein Irak-Dossier "aufgebauscht", um die Öffentlichkeit von seinem Kriegskurs zu überzeugen. Nach Kellys Selbstmord identifizierte der öffentlich-rechtliche Rundfunksender Kelly als seine Quelle.

September 2002: Die britische Regierung veröffentlicht unter dem Titel "Die Massenvernichtungswaffen des Irak" ein 50-seitiges Dossier. Behauptet wird unter anderem, der Irak könne innerhalb von 45 Minuten B- und C-Waffen zum Einsatz bringen.

Februar 2003: Zweites Regierungsdossier zur Bedrohung durch den Irak; es enthält unausgewiesene Teile einer zwölf Jahre alten Doktorarbeit.

29. Mai: BBC-Korrespondent Andrew Gilligan berichtet, dass Regierungskreise - ein ranghoher Regierungsbeamter - ihm gesagt hätten, dass das im September vorgelegte Irak-Dossier "aufgebauscht" worden sei, um die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit eines Krieges gegen Saddam Hussein zu überzeugen.

1. Juni: In einem Artikel in der Zeitung "Mail on Sunday" wirft Gilligan Blairs Kommunikationsdirektor Alastair Campbell vor, dem Dossier die Behauptung hinzugefügt zu haben, Irak könne innerhalb von 45 Minuten Massenvernichtungswaffen einsetzen.

25. Juni: Campbell weist for dem außenpolitischen Ausschuss des Unterhauses die Darstellung Gilligans zurück. Die BBC fordert er auf, sich zu entschuldigen.

27. Juni: Die BBC lehnt eine Entschuldigung ab und verteidigt ihre Berichterstattung. Campbell erklärt, die BBC habe "nicht einen Krümel Beweis für ihre Lüge".

7. Juli: Der außenpolitische Parlamentsausschuss sieht keine Beweise dafür, dass Campbell das Dossier aufgebauscht habe. Campbell wiederholt seine Forderung nach einer Entschuldigung der BBC. Die hält an ihrer Darstellung fest.

8. Juli: Ein Beamter des Verteidigungsministeriums erklärt, er habe sich mit Gilligan getroffen, um über das Dossier zu sprechen. Campbell habe er nie erwähnt. Die BBC erklärt, die Beschreibung des Beamten stimme nicht mit Gilligans Gewährsmann überein. Blair sagt dem Ausschuss, der Eindruck sei "völlig falsch", dass dem Dossier etwas entgegen den Wünschen der Geheimdienste hinzugefügt worden sei.

9. Juli: Verteidigungsminister Geoff Hoon verlangt vom BBC-Vorsitzenden Gavyn Davies Auskunft darüber, wer der Gewährsmann ist. Es wird der Mikrobiologe und Waffenexperte David Kelly genannt.

10. Juli: Kelly wird vor den Parlamentsausschuss zitiert.

15. Juli: Kelly sagt dem außenpolitischen Ausschuss, er glaube, dass er nicht die Hauptquelle für das "aufgebauschte Dossier" sei. Die BBC lehnt weitere Auskünfte ab. Das Verteidigungsministerium nennt diese Verschwiegenheit verdächtig.

16. Juli: Blair fordert die BBC auf zu sagen, ob Kelly ihre Quelle war oder nicht.

17. Juli: Gilligan wird nach Kellys Aussage zu einer nicht öffentlichen Sitzung des Parlamentsausschusses geladen. Der Ausschussvorsitzende Donald Anderson nennt Gilligan danach einen "unbefriedigenden Zeugen". Um 15.00 Uhr verlässt Kelly sein Haus in Abingdon. Um 23.45 Uhr gibt seine Familie eine Vermisstenmeldung auf.

18. Juli: Am Vormittag wird die Leiche eines zunächst nicht identifizierten Mannes rund zehn Kilometer von Kellys Haus entfernt gefunden. Blair kündigt bei einer Auslandsreise die Einsetzung einer unabhängigen Kommission an, die den Tod untersuchen soll. Sie soll von Lord Hutton geleitet werden.

20. Juli: Die BBC bestätigt, dass Kelly ihre "Hauptquelle" für ihre Darstellung gewesen sei, die Regierung habe ihr Irak-Dossier aufgebauscht. Gilligan betont, er habe den Wissenschaftler weder falsch zitiert noch dargestellt.

21. Juli: Die Untersuchung von Kellys Tod wird offiziell eröffnet.

23. Juli: Verteidigungsminister Hoon besucht die Witwe des Waffenexperten - auf deren ausdrücklichen Wunsch. Über die Begegnung äußert er sich nicht.

28. Juli: Der Vorsitzende der Untersuchungskommission, Lord Hutton, besucht Kellys Familie.

30. Juli: Auf seiner letzten Pressekonferenz vor seinem Urlaub räumt Blair ein, dass nach Kellys Tod Vertrauen "ein Thema" sei.

1. August: Lord Hutton kündigt an, Blair als Zeugen laden zu wollen.

4. August: Der Regierung wird in der Öffentlichkeit vorgeworfen, eine "Schmierenkampagne" gegen den toten Kelly zu führen. Ein Regierungssprecher hatte Kelly zuvor mit einem Fantasten wie James Thurbers Romanfigur Walter Mitty verglichen.

6. August: Kelly wird in dem Dorf Longworth in Oxfordshire beerdigt.

10. August: Oppositionsführer Ian Duncan Smith bricht sein Schweigen und fordert von der Regierung eine Entschuldigung für den Mitty-Vergleich.

11. August: Die Hutton-Kommission befragt die ersten Zeugen. (APA/AP)