Die Politik in Österreich hat in den vergangenen Jahren scheinbar das Einbinden des Volks für sich entdeckt: Da wurde über Gemeindefusionen, den Bau von Windrädern, Golfanlagen und ganzen Städten, über die Parkraumbewirtschaftung oder die Gestaltung von Stadtteilen abgestimmt. Kommenden Februar sollen Anrainer nun über die Umgestaltung der Wiener Mariahilfer Straße entscheiden.
"Solche Befragungen finden immer öfter statt", beobachtet Politberater Thomas Hofer. Sie dienten dazu, die "hochkochende öffentliche Seele zu besänftigen". Und dazu, "transparent, wertschätzend und einbindend" zu wirken. Seit den Großdemonstrationen gegen das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 in Deutschland im Jahr 2010 und die mediale Erfindung des Begriffs "Wutbürger" hat die Einbindung der Bürger einen neuen Schwung erhalten.
Allerdings hat jede Form des Einbeziehens auch Tücken: "Es stellt sich immer die Frage: Wer darf abstimmen? Wen betrifft das wirklich?", sagt Hofer. Zur Mariahilfer Straße etwa wollten Wiener VP und FP auch die Geschäftsleute mitreden lassen. Die Stadtpolitik entschied anders und erfand eine "BürgerInnenumfrage", die ab Mitte bis Ende Februar laufen soll. Das Argument dafür: Es dürfen auch Anrainer des sechsten und siebenten Gemeindebezirks mit EU-Pass über die Einrichtung einer Fußgängerzone entscheiden. EU-Bürger wären zwar auch bei einer Bezirksbefragung zum Zug gekommen, dabei hätten beide Bezirke aber getrennt befragt werden müssen. Michael Häupl (SP) sagte vorab zu, dass die Volksentscheidung für ihn bindend sei. Rein rechtlich ist sie das nicht.
Knappes Rennen erwartet
Erwartet wird ein knappes Rennen. Sollte das Projekt scheitern, würden Bemühungen um eine Verkehrsberuhigung in Wien "um zehn oder 20 Jahre zurückgeschmissen werden", warnt Wiens grüner Klubchef David Ellensohn.
Die Formulierung der Fragen zur Mariahilfer Straße sorgte kaum für Wirbel. Gefragt wird, ob man für die Beibehaltung der Verkehrsberuhigung ist. Wenn ja, schließen noch zwei Ja/Nein-Fragen zu Querungen für den Autoverkehr und zum Radfahren in der Fußgängerzone an.
Vielleicht hat man aus Fehlern gelernt: Im Jahr 2013 fragte die Wiener Stadtpolitik beispielsweise, ob kommunale Betriebe vor einer Privatisierung geschützt werden sollen - und handelte sich wegen der Formulierung den Vorwurf ein, die Frage nur deshalb zu stellen, um die Wählerschaft zu mobilisieren. Im niederösterreichischen Klosterneuburg ging die Debatte über die Fragen bei einer Volksbefragung unlängst so weit, dass zwei unterschiedliche Fragebögen zur Abstimmung kamen.
Aus raumplanerischer Sicht sind schlichte Ja/Nein-Befragungen zu Stadtteilprojekten sowieso nur bedingt zielführend. Sibylla Zech vom Planungsbüro Stadtland sieht Bürgerbeteiligung bei Raumplanungsprojekten prinzipiell positiv, würde sich diese aber dialoghafter wünschen. Das Büro Stadtland hat die sogenannten Proberäume der Mariahilfer Straße - den Praxistest im Mai 2013 - begleitet. Ergebnisse der Workshops mit Bürgern seien in die Planungsüberlegungen eingeflossen, sagt Zech. Die nun anstehende Befragung entspreche aber "vielleicht nicht ganz der Qualität", mit der der Prozess zur Umgestaltung begonnen habe.
"Idealerweise setzen sich alle an einen Tisch, jeder kann Stellungnahmen abgeben und sagen, was ihm wichtig ist", erklärt Zech, die auch als Professorin für Raumplanung an der Technischen Universität Wien tätig ist. So ein kooperatives Verfahren lief in Wien zum Beispiel zur Nachnutzung des früheren Gaswerks Leopoldau oder für die - mittlerweile erfolgte - Neugestaltung der Ottakringer Straße. Weitere Beispiele sind lokale Agenda-21-Prozesse, wie sie in mehreren Gemeinden in Österreich betrieben werden.
Eine Möglichkeit für eine bessere Einbindung bieten Online-Befragungen mit ganzen Fragenkatalogen. In Wien gab es dies etwa zur Umgestaltung des Schwedenplatzes (die aber derzeit auf Eis liegt). Zech warnt jedoch auch vor einer Überbewertung dieses Werkzeugs: "Dazu haben nicht alle Menschen einen Zugang." (David Krutzler und Gudrun Springer, DER STANDARD, 2.1.2014)