Fürs neue Jahr hat Alberta, Kanadas einzige rattenfreie Provinz, sicher folgenden Vorsatz gefasst: Weiterhin keine dieser Nager auf diesem Territorium! Denn in Alberta ist der Kampf gegen Ratten eine Staatsaffäre. Taucht irgendwo doch wider Erwarten ein Nest auf, reist der Landwirtschaftsminister höchstpersönlich an. Dazu einige hohe Funktionäre und die Presse.

Es ist eine offizielle Kampferklärung: Nach einigen Wochen sind die Nager eliminiert, mithilfe von Infrarotkameras und Giftködern. Die kanadischen Medien verkünden den Sieg mit triefender Ironie.

Die Kanadier machen sich gern über die Rattenphobie der Albertaner lustig. Vielleicht ist es auch Neid. Eine ganze Provinz, rund siebenmal so groß wie Österreich, rattenfrei zu halten ist keine leichte Sache.

Als die Wanderrate 1950 nach Alberta eingeschleppt wurde, gingen die Behörden mit drakonischer Härte vor. Die illegalen Einwanderer wurden zur Seuchengefahr erklärt und die Bürger mobilisiert: Ein Gesetz verlangte von allen Gemeinden und Personen, Wanderratten zu töten und ihre Verbreitung zu verhindern.

Tote Hühner und Hunde

Gegen die Ratten ging man vor allem mit Gift vor. Zuerst war es Arsen. Aber das war nicht nur teuer, sondern tötete auch Haustiere wie Hühner und Hunde. Die Regierung warnte die Bevölkerung vor der Gefahr, aber letztlich nahm sie unerwünschte Nebenwirkungen für das übergeordnete Gemeinwohl in Kauf.

Bis heute wird den Bürgern in Alberta vom Gesetz vorgeschrieben, eingeschleppte Ratten sofort zu töten oder den Behörden zu melden. Wenn sie sich weigern, können sie vor Gericht gestellt werden. Einige zurückliegende Gerichtsfälle schreckten die Bürger jedoch ab, und es gibt, was Ratten betrifft, kaum mehr "Gesetzesbrecher". Am wachsamsten müssen die Menschen nahe der Grenzen sein. Große Gefahr droht aus der Provinz Saskatchewan mit ihren Getreidefeldern, ein wahres Rattenparadies.

Aber die Entschlossenheit wirkte: Heute wird nur noch ganz selten ein Nest gefunden. Arsen hat man durch das Rattengift Warfarin ersetzt, das die Blutgerinnung bei den Schädlingen verhindert. Warfarin wird in Haferflockenködern versteckt, die mit Konfetti angereichert werden, damit sie als Köder erkannt werden. Die Viecher werden notfalls auch mit Gas und Fallen ausgerottet.

In Alberta bleibt man weiter auf der Hut. Ratten dürfen nicht verkauft, Privatpersonen die Nager nicht als Haustiere halten. Nur einige Labors sind ausgenommen.

Mit einem Problem wurde aber nicht gerechnet: Viele Bürger wissen gar nicht mehr, wie eine Wanderratte aussieht. Fehlalarme sind die Folge. Die Ratten werden mit einheimischen Bisam- und Taschenratten oder Mäusen verwechselt - und nicht selten sogar mit Eichhörnchen. (Bernadette Calonego aus Vancouver, DER STANDARD, 2.1.2014)