Europa geht 2014 in das spannendste Wahljahr seit Einführung der Direktwahl der Abgeordneten des EU-Parlaments 1979. Aber es kann - bei allen Problemen in einigen Mitgliedstaaten nach fünf Jahren Finanz-, Wirtschafts- und Bankenkrise, Eurodepression wie Wachstums- und Beschäftigungskrise - keine Rede davon sein, dass die EU auseinanderbrechen könnte, wie Untergangspropheten und Verschwörungstheoretiker seit Jahren voraussagen.

Stattdessen spricht einiges dafür, dass die historisch so konflikt- und kriegsorientierten Nationalstaaten des alten Kontinents im Zuge der europäischen Integration seit 1957 die wichtigsten Lektionen gelernt haben. Sie lassen sich, wenn es hart auf hart geht, nicht mehr auseinanderdividieren oder einander fallen. Sie helfen einander, auch zu einem hohen Preis.

So ist Griechenland weiter voll dabei (als EU-Mitglied seit 1981 nach der Überwindung der Militärdiktatur). Und es hat weiterhin den Euro als Zahlungsmittel. Das Land führt nun (zum fünften Mal) auch noch den EU-Vorsitz. Nichts spricht dagegen, dass es diese Arbeit mit den EU-Institutionen klaglos über die Bühne bringen wird.

Die das Ausscheiden der Griechen aus Euro bzw. EU verlangt oder vorausgesagt haben, behielten unrecht.

Nicht weniger bedeutend ist die Tatsache, dass Lettland am Neujahrstag als 18. Mitglied der Währungsunion den Euro eingeführt hat. Litauen wird bald folgen. Damit wären dann (mit Estland) jene drei baltischen Staaten, die nach den Umbrüchen 1989 Freiheit und Demokratie gegen Panzertruppen der Sowjetunion erkämpft haben, an der Spitze der friedlichen Einigung in Europa angekommen. Warum ist es so wichtig, gerade das zu erwähnen? Und gerade zu Beginn des Europawahljahrs?

Weil 2014 realpolitisch und symbolisch ein ganz besonderes Jahr der Bewährung werden könnte. Oder des Rückschlags. Im Sommer 2014 wird es hundert Jahre her sein, dass der "Große Krieg", die Urkatastrophe, der Erste Weltkrieg begann. Im Frühjahr wird es 25 Jahre her sein, dass mit den runden Tischen in Polen der Fall des Eisernen Vorhangs, das Ende kommunistischer Herrschaft in Osteuropa eingeleitet wurde. In Österreich fand im Juni vor 20 Jahren das Referendum zum EU-Beitritt statt. All diese Jubiläen bieten uns Bürgern Anlässe ohne Ende, einmal grundsätzlich darüber nachzudenken, was uns die Europäische Union wert ist; wo Europa, das in zwei, drei Jahrzehnten global kaum noch wirtschaftliche und demografische Bedeutung haben wird, als Ganzes eigentlich hin will; welche politischen Kräfte gestärkt werden sollen; was uns im politischen Leben im eigenen Staat wie in der gemeinsamen Union guttut - und was eher schaden könnte. Dazu muss es einen klaren, scharfen Parteienwettbewerb geben.

Die Kernfrage ist, ob es eine gute Idee wäre, das Projekt der schrittweisen Integration einer Gemeinschaft von Nationalstaaten, in der Grundrechte, pluralistische Gesellschaft, Toleranz und soziale Marktwirtschaft die Ziele sind, aufs Spiel zu setzen.

Quer durch Europa sprießen radikale Gruppen, die das fordern - links wie rechts. Ein Blick auf den Maidan von Kiew in der Ukraine, wo Silvester von Tausenden als Freiheitsfest Richtung Europa gefeiert wurde, schadet dabei nicht. Denn gleichzeitig zeigt der russische Demokratielenker und EU-Nachbar "Zar" Putin, was er von Menschenrechten und Opposition hält: wenig bis nichts. 2014 hat's in sich. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 2.1.2013)