Sie lieben sich, sie lieben sich nicht: Nicola Kirsch und Thiemo Strutzenberger probieren verschiedene "Konstellationen" aus. 

Foto: Alexi Pelekanos / Schauspielhaus

Wien - Silvester ist gemeinhin jener Tag, an dem Menschen beschließen, ein anderes Leben zu führen. Dass diese neuen Versionen ihres Selbst oft keine lange Lebensdauer haben, ist an dieser Stelle nicht weiter von Bedeutung. In der Silvesterpremiere am Wiener Schauspielhaus, der deutschsprachigen Erstaufführung des Stücks Konstellationen nämlich, existieren alle möglichen Versionen zugleich.

Das Stück des Briten Nick Payne erzählt von der Kosmologin Marianne (Nicola Kirsch) und dem Imker Roland (Thiemo Strutzenberger). Marianne beschäftigt sich mit der Quantenmechanik und der Theorie des Multiversums, der zufolge alles, was passieren kann, irgendwo in irgendeinem Universum tatsächlich auch passiert. Dementsprechend spielt das Stück alle Möglichkeiten ihrer Beziehung durch: Mal kommen sie gar nicht erst zusammen, mal streiten und betrügen sie sich, in einer anderen Version heiraten sie. Und immer wieder haben sie mit dem Gehirntumor zu kämpfen, an dem Marianne sterben soll.

Die unterschiedlichen Beziehungswelten lösen sich oft innerhalb einer Handbewegung oder eines Satzes ab. Regisseur Ramin Gray inszeniert diesen fliegenden Wechsel der möglichen Welten streng puristisch. Kein Bühnenbild, keine Requisite lenkt von den beiden Schauspielern ab. Lediglich sauber getimte Veränderungen der Lichtsituation und ein schlagartiger Wechsel von Körpersprache und -spannung zeigen, dass die Figuren nicht immer dasselbe empfinden - und folglich nicht immer gleich handeln.

Das ergibt kurzweilige, in ihrer nüchternen Zurückgenommenheit sehr britische, in der trockenen Situationskomik bisweilen an Boulevardstücke erinnernde siebzig Minuten. Nur tiefergehende Überlegungen zu freiem Willen oder Vorsehung, die sich aus der Multiversumtheorie ergäben, lassen sich, so wie Gray sich dem Stoff nähert, nicht verfolgen. Auch die existenzielle Thematik rund um den Hirntumor und die im Raum stehende Inanspruchnahme von Sterbehilfe berührt kaum. Gray konzentriert sich in seiner Inszenierung auf eine naturalistische, jedes noch so kleine Detail einer Handbewegung oder Körperdrehung beachtende Studie der einzelnen Universen. Hoch konzentriert machen die beiden Darsteller das auch beim schnellsten Wechsel nachvollziehbar. Nur ihren Figuren kommt man dabei kaum näher, sie bleiben seltsam schemenhaft, genauso wie ihre Liebesbeziehung und körperliche Anziehung selten wirklich glaubhaft wird. Den Multiversen, so beschleicht einen bisweilen der Verdacht, wohnt eine gewisse Beliebigkeit inne.

Wer weitergehende Gedanken erhofft, wird hier eher enttäuscht werden. Als Studie aber über die unterschiedlichen Leben, die wir alle - wenn schon nicht in verschiedenen Welten, so doch in unseren Köpfen- leben, ist dieser Abend allemal ein sehenswerter. (Andrea Heinz, DER STANDARD, 2.1.2014)