"Mehr und mehr habe ich das Gefühl, dass wir nirgendwohin gelangen": Rosmarie Waldrop.

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Im folgenden Interview mit der US-amerikanischen Lyrikerin und Übersetzerin Rosmarie Waldrop gibt es eigentlich keine Antworten. Das anlässlich der Präsentation ihres Werk in der Alten Schmiede Wien geführte Interview geht immer wieder aus von Antworten - nämlich von Worten und Zeilen aus Rosmarie Waldrops Werk und von Zitaten; die Autorin antwortet aber mit Fragen. So Musil als möglich. So Kafka also nicht.

Antwort Waldrop: Mehr und mehr gelangen wir nirgendwohin und das ist ein Vergnügen.

Frage Waldrop: Was, glauben Sie, ist die Funktion von Poesie? Braucht sie eine? Eine soziale Funktion? Ist sie Ausdruck, Ornament, eine prachtvolle Verschwendung von Energie (Bataille)? Eine Beschreibung des Wahrnehmungsvorgangs (Oppen), des Denkvorgangs (Breton)? Eine Maschine (William Carlos Williams)? Mimesis? Oder das Gegenteil davon: ein Gegen-Entwurf, der uns auf verborgene Strukturen in Sprache und Gesellschaft aufmerksam macht (Adorno), auf das, was unser Denken formt? Bewahrt sie die Lebendigkeit der Sprache?

Antwort Waldrop: Das Buch aufgeschlagen mitten in der Küche wird das Haus vor Blitz schützen. Der Hund wird brennen.

Frage Waldrop: Glauben Sie an eine materielle Welt oder an ein semiotisches Universum?

Antwort Waldrop: Rasend Ja dann Nein.

Frage Waldrop: Wie sehen Sie die Rolle der Logik in der Poesie? Was sind die "Plätze des Ausgeschlossenen Dritten"?

Antwort Waldrop: Moosbruggergasse, Wien-Meidling.

Frage Waldrop: Wie ehrt Österreich Robert Musil?

Antwort Waldrop: Die Grammatik des Wortes "naseweis" ist eng verwandt mit der von Meisterschaft.

Frage Waldrop: Was ist Ihnen am wichtigsten, wenn Sie schreiben: der mot juste, die vollkommene Metapher, die "Stimme", Rhythmus, Komposition, Syntax, Struktur?

Antwort Waldrop: Orte gleichen einander sehr.

Frage Waldrop: Sie sind aus Deutschland in die Vereinigten Staaten emigriert. Wie hat dieses Übersetzen Ihr Schreiben beeinflusst?

Antwort Waldrop: Die Fische fingen mich.

Frage Waldrop: Empfinden Sie sich noch als Bundesdeutsche oder als Vereinigte Amerikanerin?

Antwort Waldrop: Aber die vier Richtungen auf dem Kompass gleichen einander auf den Plätzen des ausgeschlossenen Dritten.

Frage Waldrop: Es gibt die "Topo-Poesie", eine eng an eine Landschaft oder Stadtschaft gebundene Poesie, oder allgemeiner an die Umwelt (die amerikanische Ökopoetik-Strömung). Andererseits haben Sie den französisch-ägyptischen Dichter Edmond Jabès übersetzt, der sich selbst Dichter des "Nicht-Orts" nannte, dessen einzige Heimat das Buch war. Wo stehen Sie?

Antwort Waldrop: Columbus.

Frage Waldrop: Mögen Sie Eier?

Antwort Waldrop: Kafka als Sonne.

Frage Waldrop: Sind Ihnen Gattungen wichtig? In den letzten Jahren haben Sie nur Prosagedichte geschrieben, die eine hybride Gattung zu sein scheinen. Was treibt Sie an, Prosagedichte zu schreiben?

Antwort Waldrop: Asco wequassunnúmis.

Frage Waldrop: Obgleich Sie sagen, dass "Orte einander sehr gleichen", ist die Bewegung über den Atlantik von Deutschland, Europa nach Amerika ein häufiges Motiv in Ihrem Werk. Columbus taucht darin ebenso auf wie andere Eroberer und Entdecker, Alexander von Humboldt und die britischen Siedler im Allgemeinen. Aber möglicherweise ist die Bewegung vom Deutschen ins Englische noch schwieriger. Was hat sie dazu gedrängt, einen Schritt weiter zu gehen, zu dem, was von der indianischen Narrangansett-Sprache bekannt ist? Wie sie aufgezeichnet wurde von Roger Williams in "A Key Into the Language Of America"?

Antwort Waldrop: Waldrop als

Frage Waldrop: Ein großer Teil der Dichtung in den USA beschäftigt sich mit "Identität". Viele Dichter schreiben als Schwarze, als Chicanos, als SinoamerikanerInnen, als Frauen, als FeministInnen, als MarxistInnen. Aber Sie haben häufig Keats zitiert, der den Dichter als Chamäleon bezeichnet, der kein Selbst hat, oder Gertrude Stein: "man hat keine identität, während man dabei ist, etwas zu tun". Oder Edmond Jabès, der den Dichter lediglich als Katalysator betrachtet, der die Worte zusammen bringt. Als was sehen Sie sich?

Antwort Waldrop: Vocable - Dieser lexikalische Begriff hat für Jabès Anklänge an "voice" und vocare, "rufen", das Wort als Klang - doch ein hässlicher Laut im Englischen. Er (Jabès) meint vocable als das gesprochene (und gehörte) Wort im Buch, die mündliche Dimension bewahrt innerhalb der schriftlichen.

Frage Waldrop: Was, um es etwas vollmundig zu sagen, ist der ontologische Ort des Gedichts? Ist er im gesprochenen Wort oder auf dem Papier? Prosa und Prosadichtung scheinen entfernter vom Mündlichen zu sein als das Lyrische, abhängiger vom Druck. Sie sprachen davon, wie Jabès die französische Unterscheidung verkompliziert zwischen "mot" (Wort in Bezug auf das Sprachsystem) und "parole" (das gesprochene Wort), indem er "vocable" einführt. Was ist das?

Antwort Waldrop: (whereupon Brahms cabled) "precisely" (and) "the wires, Clara.

Frage Waldrop: Louis Zukofsky definiert die Grenzen der Dichtung als: Obergrenze Musik - Untergrenze Rede. Bei Jabès sind die Grenzen Stille und Schrei. Was denken Sie?

Antwort Waldrop: Walkinginmist

Comesinmist

Drizzlingrain

Frage Waldrop: Ist das Namengeben für Sie ein Problem?

Antwort Waldrop: Über dem Atlantik befand sich ein barometrisches Minimum; es wanderte ostwärts, einem über Russland lagernden Maximum zu, und verriet noch nicht die Neigung, diesem nördlich auszuweichen.

Frage Waldrop: Stand die Lufttemperatur in einem ordnungsgemäßen Verhältnis zur mittleren Jahrestemperatur?

Antwort Waldrop: Mehr und mehr habe ich das Gefühl, dass wir nirgendwohin gelangen.

Frage Waldrop: Um auf den Anfang unseres Gesprächs zurückzukommen: Wir haben noch nicht darüber gesprochen, dass dieser Satz von John Cage ist. Zitiert in dem Zyklus über John Cage "Music Is an Oversimplification Of the Situation We Are In", aber nicht als Zitat identifiziert. Warum sind Ihre Texte weitgehend Collagen? Können Sie nichts allein machen? Was ist der Unterschied zwischen identifizierten und nichtidentifizierten Zitaten? (Album, DER STANDARD, 4./5./6.1.2014)