Ran Gavrieli nahm positive Erfahrungen aus dem Verzicht auf Online-Pornos mit.

Foto: TEDx Jaffa

Nackte Haut ist im Internet fast allgegenwärtig. In kaum einer anderen Sphäre konnte sich die Erotikbranche so ausgiebig entfalten wie hier. Es ist wenig verwunderlich, dass sich Werke wie der Musicalsong "The Internet is for Porn" im kollektiven Gedächtnis manifestiert haben.

Einen Selbstversuch ist nun der israelische Gender-Forscher Ran Gavrieli eingegangen: Er verzichtet seit geraumer Zeit auf den Konsum von Online-Pornos und schilderte seine Erlebnisse in einem TEDx-Talk. Er hat zu seinen Erfahrungen dem Buchautor Jakob Steinschaden ein Interview gegeben und über seine Motive und Schlussfolgerungen gesprochen.

Verzerrte Wahrnehmung

Dass er den Konsum von Sexclips im Netz eingestellt hat, begründet Gavrieli unter anderem damit, dass diese süchtig machten und auch die eigene Wahrnehmung verändern würden. Seiner Einschätzung nach wird aus einer aus Erregung entspringenden Handlung plötzlich eine Beschäftigung, um Langeweile zu vertreiben.

Gleichzeitig seien zur Befriedigung immer extremere Bilder notwendig, was bei ihm letztlich dazu geführt hat, dass seine eigenen Fantasien zunehmend von "Zorn und Gewalt" geprägt wurden. Ein zweiter Aspekt für seine Abkehr war, nicht mehr Kunde "digitaler Prostitution" sein zu wollen.

Gegensätzliche Forschungsergebnisse

Ob Pornos süchtig machen können, haben bislang nur wenige Studien zu klären versucht. 2011 stuften Forscher des Rotterdamer IVO-Instituts die Gefahr als gegeben, aber gering ein. Eine Erhebung der University of Sydney lieferte 2012 wiederum gegensätzliche Ergebnisse und zeigt den möglichen schweren Einfluss exzessiven Konsums auf das soziale Leben der Zuseher auf.

Von 800 befragten Pornokonsumenten waren 43 Prozent bereits im Alter von elf bis 13 Jahren erstmals in Kontakt mit Sexfilmen gekommen. 47 Prozent gaben an, täglich damit 30 Minuten bis mehrere Stunden zu verbringen. 20 Prozent fanden diesen Weg der Stimulation befriedigender als realen, körperlichen Kontakt mit einem Partner.

Veränderung der Geschlechterrollen

Gavrieli, der aktuell seinen PhD an der Bar-Ilan-Universität abschließt, hat durch den Entzug positive Auswirkungen auf sich selbst bemerkt. "Das hat Wunder für mich bewirkt. Ich habe nach und nach wieder begonnen, Fantasien über echte Frauen und echte erotische Kommunikation zu haben", erklärt er.

Beruflich arbeitet er mit Kindern und Erwachsenen im Bereich der Aufklärung. Er attestiert, dass Pornos sich negativ auf die Mainstream-Kultur auswirken und die Wahrnehmung von Geschlechterrollen stark prägen. Insbesondere Frauen würden in ein Modell von Unterordnung gegenüber einer gewalttätigen Herrschaft und einseitiger Freude und somit in eine Hierarchie gedrängt. Sex würde zunehmend unromantisch und bindungslos. Dem sei man allerdings nicht hilflos ausgeliefert.

Mehr Sexualkunde als Gegenmaßnahme

Als Maßnahme fordert er einen Ausbau der Sexualerziehung an Schulen mit zeitgemäßen Inhalten. Während Hauptfächer wie Mathematik oder Englisch an israelischen Schulen jede Woche vier bis sechs Stunden unterrichtet werden, stehen für Aufklärung und Sexualkunde lediglich sechs Stunden pro Jahr zur Verfügung.

Ähnlich stellt sich dies auch in anderen Ländern dar. In Österreich sind entsprechende Inhalte zwar im Unterricht vorgesehen, ein eigenes Schulfach oder ein konkretes Stundenpensum existieren üblicherweise allerdings nicht. Oft erfolgt die Vermittlung im Rahmen des Biologieunterrichts.

Positivbeispiel "Shortbus"

Als prinzipielle Ablehnung von Pornofilmen an sich will Gavrieli seine Haltung nicht verstanden wissen. "Gute Sexfilme haben einen künstlerischen Anspruch und beuten niemanden aus", meint er und verweist als Beispiel auf das Werk "Shortbus". Dieses enthält zwar explizite Szenen, setzt den Verkehr seiner Meinung nach aber in emotionalen Kontext.

"Make Love Not Porn" als Alternativmodell zur Branche

Auch ein anderes Projekt tritt dem gängigen Ideal der Pornoindustrie entgegen. Die Seite "Make Love Not Porn" ermöglicht es Paaren, private Erotikfilme hochzuladen, die anschließend von Interessenten on demand für eine gewisse Dauer gemietet werden können, wobei die Urheber 50 Prozent der Einnahmen erhalten. Gavrieli kritisiert die Plattform allerdings, da er im Geschäftsmodell eine Ermutigung dazu sieht, gefilmten Sex wegen Geld zu haben, anstatt einfach nur Exhibitionisten zu ermöglichen, ihre Aufnahmen zu teilen.

Vorwürfe, die von den Betreibern umgehend zurückgewiesen werden. Diese sehen sich als Teil der "kollaborativen Ökonomie" nach dem Beispiel von Airbnb bei Übernachtungsgelegenheiten. Sie begründen das Mietmodell damit, dass für ein solches Projekt keine Investoren zu finden seien und die Seite sich finanziell selbst erhalten müsse. (gpi, derStandard.at, 06.01.2014)

Video: TEDx-Talk von Ran Gavrieli