Japanischer Liebreiz aus dem Geist der Reklameschaltung: die Nippon-Mode 1897 mit "Geishas" im Wiener Carltheater

Wien - Die ersten Japanbesucher nach 1870 konnten sich an der keuschen Anmut ihrer Gastgeber kaum sattsehen. Ein exotischer Modeschlager im Vulkanschatten des Fuji war im Nu gefunden. Kein Wunder, denn in den letzten drei Dekaden des 19. Jahrhunderts schweifte man begierig in die Ferne. Der Besuch, besser: die Heimsuchung des Kaiserreichs Japan spielte den Europäern ideal in die Hände. Die Großmächte - unter ihnen Österreich-Ungarn - waren Gesellschaften mit einer auf exotische Genussmittel erpichten kollektiven Fantasie.

Die Schau Im Rausch der Kirschblüten im Wiener Theatermuseum verknüpft ebenso anschaulich wie exemplarisch die Bedeutungsstränge der Nippon-Begeisterung anno 1900. Die "Papierschmetterlinge aus Japan" waren Erzeugnisse zweiter Ordnung, Herrlichkeiten der abgeleiteten Art. Die ersten Japan-Reisenden bekundeten Unverständnis. Was ihnen ins Auge stach, war das zeremoniöse Gepränge einer auf festen Traditionen gegründeten Gesellschaft.

Die Reiseliteraten führten ihre Illustratoren sicherheitshalber gleich mit. Japan hatte sich jahrhundertelang isoliert. Das "absonderliche Gebaren" im Land der aufgehenden Sonne verleitete zu der Annahme, es mit einer Kultur von Tänzern zu tun zu haben. Tanz ist vielleicht auch nur eine Metapher: Jeder Nietzsche-Leser weiß um die enthemmende Bedeutung des Tanzes in den Annalen der modernen europäischen Zivilisationskritik.

Die Gier nach Schauwerten wurde von den Japanern prompt und vielfach auf verblüffende Weise gestillt. Insgeheim, den Blicken der Welt weitgehend entzogen, verordnete sich das Inselreich unter der Herrschaft seines Gott-Kaisers ("Tenno") eine beispiellose Modernisierung. In den Schaufenstern der Weltausstellungen inszenierte sich Nippon bereitwillig als Land des Lächelns.

Ein reger Handel mit Stereotypen fand seine Absatzmärkte auf Europas Amüsiermeilen. Von der Prater-Rotunde der Wiener Weltausstellung (1873) aus traten "Original-Japanesen" und Teehausbesitzer ihren Siegeszug an. Und Japan lieferte. Neben Holzfächern und Kimonos exportierte man das eigene, zeremonielle Theater. Häufig genug mussten Europäer mit verbilligten und verfälschten Kulturgütern vorlieb nehmen. Die Ateliers in Tokio und Yokohama arbeiteten auf Hochtouren. Die "Yokohama" -Fotografien bilden denn auch einen willkommenen Blickfang in der von Elisabeth Truxa gestalteten, von Daniela Franke mustergültig kuratierten Ausstellung.

Heile japanische Fotowelt

"Typische" Ansichten des alten, holzstichigen Japan zeigen zwanglos arrangierte Szenen aus dem Alltagsleben. Bilder der fließenden Welt (" ukiyo-e") sollen den Eindruck einer heilen Welt suggerieren. Ungerührt blickt der Samurai aus seiner Rüstung. Asien sitzt wie die Fliege im Bernstein. Die bühnenwirksame Erstarrung der Figuren verweist auf die Schlussposen der Schauspieler im Kabuki. Das Aushalten dieser "idealen" Ewigkeit erzählt mehr über Europa als über Japan und dessen Shintoismus.

Die fälschliche Rekonstruktion von "Alt-Japan" ist das Werk einer Verklärung, die in der Rezeption von etwas nie Dagewesenem ihr eigenes Antikebild aufpoliert. Europa verkennt seine eigenen Voraussetzungen. Es will Japan "bewusst" missverstehen. Doch erst die Borniertheit bereitet dem Japan-Boom in Operette (Der Mikado) und Theater den Boden. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 7.1.2014)