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Die Kanzler Faymann und Merkel bei einem Treffen vor Weihnachten in Brüssel.

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Foto: Maria von Usslar

Was ist der Unterschied zwischen dem Europäischen Rat und dem Ministerrat der Europäischen Union? Das möchte unter anderem Poster lalala123 wissen, und man ist geneigt, dem gleich eine weitere Frage hinzuzufügen: Und wie ist das dann mit dem Europarat?

Das Beispiel zeigt, was eines der größten Handicaps der Politik in Europa wie der Konstruktion der EU ist und was viele Bürger vermutlich immer wieder abschreckt. Eine Union aus 28 Staaten als "work in progress" ist sehr komplex. Die EU-Verträge sind aufgrund des jahrzehntelangen Weiterbastelns kompliziert, für den Nichtspezialisten oft kaum noch zu verstehen.

Entscheidungsprozesse

Das gilt insbesondere für das Funktionieren der gemeinsamen Institutionen, für die Entscheidungsprozesse. Sie sind im Prinzip den parlamentarischen Demokratien in den Nationalstaaten nachgezeichnet. Aber es gibt doch wesentliche Unterschiede und Schwächen, weil die EU eben kein Staat, kein Bundesstaat, keine Vereinigten Staaten von Amerika sind, sondern eine Vertragsgemeinschaft, in der die Länder nur Teile ihrer Souveränität abgegeben haben, selber das Heft gegenüber der EU-Kommission in der Hand halten wollen.

Zuerst: Der Europarat hat mit dem Ministerrat der Europäischen Union und dem Europäischen Rat, mit der EU direkt nichts zu tun. Er läuft heute sozusagen parallel zur Union wie die NATO, ist sogar älter, wurde am 5. Mai 1949 gegründet und hat heute 47 Mitgliedsstaaten mit Hauptsitz in Straßburg. Er ist eine regionale internationale Organisation, verfolgt die Zusammenarbeit der Mitglieder auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet, aber nur sehr lose. Der Europarat, in dem etwa auch Norwegen oder Russland Mitglieder sind, widmet sich insbesondere Fragen der Demokratie und der Grundrechte, tritt als Wahlbeobachter auf, achtet auf die Menschenrechte.

Europäischer Rat als mächtigstes EU-Entscheidungsorgan

Ganz anders ist es mit dem Europäischen Rat (ER) und dem EU-Ministerrat. Der ER, umgangssprachlich gerne "EU-Gipfel" genannt, ist das Gremium der 28 Staats- und Regierungschefs der Union. Als solches ist er in seiner heutigen Form politisch das mächtigste Entscheidungsorgan in der EU. Denn er ist es, der die großen politischen Linien vorgibt und selber bindende Beschlüsse fasst, der Arbeitsaufträge an die EU-Kommission oder den EU-Ministerrat gibt.

Das war bis Dezember 2009 mit dem Inkrafttreten des EU-Vertrags von Lissabon nicht so. Bis dahin beschränkten sich die Staats- und Regierungschefs darauf, nur die großen politischen und wirtschaftlichen Linien vorzugeben. Die bindenden Beschlüsse wurden hingegen in den Fachministerräten bzw. dem Allgemeinen Rat der EU (de facto bei den Außenministern) gefasst, mussten von den Ministern erst mühsam ausgehandelt werden.

Änderung der Machtverhältnisse

Einige Experten  sehen daher auch in der Neudefinition des Europäischen Rates die wesentlichste Änderung im Lissabon-Vertrag, weil sich diesbezüglich in der Praxis eine entscheidende Änderung der Machtverhältnisse ergeben hat. Die EU-Kommission als Gemeinschaftsorgan wurde geschwächt, aber auch die EU-Ministerräte, die im Zweifel nur noch als "Zuträger" der Regierungschefs dienen.

Das zeigt sich schon äußerlich. Bis 2009 fanden EU-Gipfel viermal im Jahr statt, hin und wieder gab es Sondergipfel. Und die Außenminister waren mit ihren Regierungschefs beim Gipfel anwesend. Heute dürfen neben dem Generalsekretär des Rates nur sehr wenige Leute im Saal sein, wenn "die Chefs" tagen. Die Außenminister sind entmachtet, kriegen nicht direkt mit, wie Entscheidungen beim Gipfel getroffen werden.

Es gibt seit 2009 auch einen Ständigen Präsidenten des Europäischen Rates, den Belgier Herman Van Rompuy, der protokollarisch die Union nach außen vertritt, auf Augenhöhe etwa mit dem US-Präsidenten. Mit dem Präsidenten der EU-Kommission, José Manuel Barroso, bildet er eine Art Doppelspitze der Union. Die EU-Gipfel finden nun fast ausschließlich in Brüssel statt, im Schnitt sechs bis acht pro Jahr. In den Krisenjahren 2010 und 2011 trafen sich die Regierungschefs fast im Monatstakt.

EU-Ratspräsidentschaft

In seiner Rolle reduziert wurde durch all das der alle sechs Monate wechselnde Ratsvorsitz durch ein Mitgliedsland, die EU-Ratspräsidentschaft (derzeit: Griechenland). Sie organisiert gemeinsam mit Kommission und Ratssekretariat in Brüssel den EU-Alltag, insbesondere den Ablauf der Fachministerräte, in denen die meisten Formalentscheidungen zur EU-Gesetzgebung mit dem EU-Parlament fallen.

Der Europäische Rat, der die Macht der Nationalstaaten wieder vergrößert hat, trifft auch die wichtigsten Personalentscheidungen. Er nominiert etwa Präsidenten der Kommission (wobei das Europäische Parlament dabei seit 2009 ein fixes Mitentscheidungsrecht hat) oder die oder den Außenbeauftragten. Außerdem sind die EU-Staats- und -Regierungschefs im ER für EU-Vertragsänderungen zuständig, sei es im kurzen Verfahren durch sie selbst oder durch Einberufung eines Konvents, in dem auch die nationalen Parlamente und das EU-Parlament bindend mitarbeiten. (Thomas Mayer, derStandard.at, 7.1.2014)