Corti rechnete ab. Mit der italienischen Hochküche und wohl mit einiger Berechtigung, der Mann kennt sich ja aus in der Küche. Herrn Massimo Bottura attestierte unser Profigastrokritiker aber doch den einen oder anderen Höhepunkt. Und weil ja bald auch wieder San Pellegrino die 50 besten Lokale der Welt reiht (und tatsächlich 100 sortiert), ist es Zeit für das angeblich drittbeste Lokal der Welt. Sechs Plätze vor dem Steirereck, das gerade den Wiener Stadtpark noch ein gutes Stück mehr verbaut.

Zeit? Höchste Zeit! Die Schmeck's-Exkursion nach Modena, in Botturas Osteria Francescana, fand bereits im Herbst 2013 statt. Aber es erforderte einige Undercover-Recherchearbeit, bis dieser kleine, dreckige Gastroblog jenes Dokuments habhaft wurde, das Menü und Ereignisse am authentischsten dokumentiert. Aufgezeichnet vor, über und unter dem Vatikan bei Nacht. Der liegt zwar nicht in Modena, hing aber als große Luftaufnahme direkt über unserem also beseelten Chronisten Giovanni Pontemonte. Wir können hier Pontemontes geheimen, wiewohl nun schon etwas aus der Zeit gefallenen Liveticker aus der Osteria Francescana präsentieren, ein Genre, das ja den deutschsprachigen Journalismus gerade sehr beschäftigt. Sein Befund: "Faszinierend, was man alles mit Essen machen kann."

So goldig fängt es an in der Osteria Francescana. Oder eigentlich mit Mist: Im Gang zu den eher kleinen, eher dunklen, von messerscharfen Spots für jeden Tisch fokussiert erhellten Räumen steht ein - schwarzer Mistsack, hoch oben bewacht von einer Taube, beide aus Porzellan. Was will uns das sagen? Im besten Fall: Osteria, alles nicht so wild. Bis auf den doch recht ansehnlichen Menüpreis von 195 Euro für das Vollprogramm. Was aber notiert Pontemonte?

Foto: Harald Fidler

"Mandelgranita mit Kaffee, Kapern und Bergamotte, dazu...

Foto: Harald Fidler

... Makronen gefüllt mit Anchovis und Austerncreme ... "an explosion of flavour and impressions in our mouths", wie der Italiener zu sagen pflegt. Und...

 

Foto: Harald Fidler

... natürlich Brot vom hiesigen Giuseppe."

Wir sehen: Pontemonte geht es erst einmal sachlich an. Aber: "Weinbegleitung: Bio-Malvasier aus dem Friaul, 14 Volt."

Und: "Herr Fidler rülpst Mandeln."

Ich erlaube mir anzumerken: Ein Qualitätsausweis. Und: Ich tat es natürlich leise für mich. Und der Bio-Malvasia kam übrigens nach meinen Notizen von Dario Raccaro.

Foto: Harald Fidler

"Stockfisch mit Biss in Zitronen-Tomaten-Olivenöl-Essenz."

So trocken, wie Herr Bruckenberger das schildert, war der Baccala Mare Nostrum beileibe nicht. Sehr zitronig, sehr gut. Der Fisch nach meinen Parallelnotizen "glasig-genial", über eine kleine Gräte schauen wir hinweg, und dass rund um den genialen Fisch schon ziemlich viel los war, stört ja nicht dramatisch.

"Wein: Timorasso aus dem südlichen Piemont. Organisch, Kante."

Kante meint hier nicht den Karst-Winzer, sondern die Heftigkeit. Walter Masser hat ihn übrigens hergestellt. Sehr birnig, fand ich.

Foto: Harald Fidler

"Rotbarsch mit unter die Haut gewalzten Scampi-Tönen und Sepia-Tinte. Sie nennen es humorig 'How to burn a Sardine in 3 Days'. Herr Fidler zeigt erste Anzeichen von Kiemenbildung."

Foto: Harald Fidler

"Nach dem die Region durchziehenden Fluss benanntes Po-Risotto erinnert uns an den alten Kinderwitz 'Heute gibt es Reis mit ... - Wäääh Reis'. Geschmacklich aber sehr fein. Wir trinken immer noch Timorasso."

"Risotto 'Wo der Fluss das Meer trifft'" heißt das Gericht übrigens offiziell.

Foto: Harald Fidler

"Als Zwischengang Beltaine-Bier aus Bologna mit Maroni und Wacholder angebraut. 7 Volt, ein echtes Geschmackserlebnis. Bier-Verweigerer Fidler gerade entzückt wie Snorre-Freund Gorm. Trappisten auf nach Italien."

Ich hab mir noch notiert: aus geräucherten Walnüssen. Und sage: Aber hallo!

Foto: Harald Fidler

"Niedrigtemperaturgegarter Balsamico-Aal mit Essenzen von Polenta und Grüner Apfel. Total interessant und herausragend."

Oder um es mit Bottura statt mit unserem Ponte-Fex zu sagen: "Ein Aal schwimmt den Po-Fluß hinauf".

Pontemonte, der eifrige Chronist, notiert noch: Herr Fidler verlässt den Tisch. Bier treibt bekanntermaßen, oder wie der Grieche sagt: Panta rhei."

Foto: Harald Fidler

"'Tribut an die Normandie': Rohes Lamm mit Austernsauce und Austernsorbet, serviert in einer Austernschale, dazu Aquavit aus dem Trentino und pures Wasser. Faszinierend, was man alles mit Essen machen kann. Einzig das Wasser scheint mir etwas überschätzt."

Der Witz, Herr Pontemonte war wohl: Schnaps trinken, Wasser ins Glas nachgießen, Wasser hat nun einen viel feineren Aquavit-Geschmack. Enzian, wie mir scheint, jedenfalls sagen meine Notizen noch: Genziana. 

Lamm und Auster und ultrafette Unterlage schon sehr gut, aber ein bisserl sehr bemüht abgedreht, schien mir. Aber: So lang's funktioniert.

Foto: Harald Fidler

"Think Green" analysiert Bruckenberger so: "Grünes "Kuhfutter" auf Erbsen- und Fisolen-Basis, übergossen mit Kuhmilch von heute Morgen. La Vache qui rit für ökologisch bewusste Vegetarier."

Eine mollig-milchig-erbsig-fisolige Freude, sagen meine Geschmackserinnerung - finde ich. Optisch vielleicht nicht so ganz.

Pontemonte fokussiert: "Wein: Ein weiterer Malvasier aus dem Friaul ... 14 Volt, noch mehr Kante, Paolo Kante quasi, und wir reden hier nicht vom Sänger. Herr Fidler rülpst inzwischen Bier und Kräuter."

Innerlich und nicht vernehmbar, möchte ich anmerken. Und nach meinen Notizen ergänzen: von Damijan Podversic aus 2009.

Foto: Harald Fidler

Umso fescher, jedenfalls live: Schnecken unter der Weinrebe.

"Sprich: Schnecken mit Kräutern, Trüffel und Chlorophyll-Rotwein-Balsamico-Kaffee-Safterl ... Noch Fragen?"

Nein. Aber große Begeisterung. Und ein Nero d'Avola, laut meinen Notizen, die diesen leider nicht genauer bezeichnen.

Foto: Harald Fidler

"Homemade Gänseleber-Ravioli mit Trüffel und Riesling-Barolo-Sauce. Als Trinkbegleitung reiner Kirschensaft, der interessanterweise nach Zwetschgenröster riecht." Ich hatte ja Anfangs eher eine Tomatensaft-Assoziation, aber bald schließe ich mich Pontemontes Geschmacksbefund an. Womöglich auch eine Frage der Betriebstemperatur.

Nachsatz in den geheimen Ticker-Tagebüchern: "Herr Fidler schmunzelt glücklich vor sich hin ... Wozu? Zu Recht! - Nur der Kirschsaft treibt."

"Hirschfänger werden aufgedeckt. Wir nähern uns den Fleischgängen an ..."

Foto: Harald Fidler

"Auch der Wein deutet auf Fleischgang: Passo Nero aus Süd-Sizilien. Auch ihn stoßen wir nicht von der Tischkante."

Übrigens nach meinen Notizen von Arianna Occhipinti und aus 2010. Ein Passo Nero by the way, also sehr süß. Liefert nun das vorher vermisste Kirscharoma. Dahinter steckt gewiss ein großer Plan.

"Und da kommt die Taubenbrust auch schon mit roten und weißen Rüben ... #CSI-Bresse ... Na Bumm! Gut! Freunde der Arche Noah, wir sollten mehr Tauben essen ..."

Eine der besten Tauben, die ich je hatte, darf ich anmerken, von kross bis blutig, wow. Der Kren funktioniert sehr gut, der Saft und die roten Rüben symbolisieren das Blut, erklärt uns der Herr Ober. Gut, dass wir da gar nicht heikel sind.

 

Foto: Harald Fidler

"Pre-Desert: Blätter frittiert, Trüffel, Maroni und überhaupt das halbe Mittelmeer ... dazu Moscato d'Asti".

So komisch frittierte Blätter ("Millions of Leaves", sagt Herr Ober - Millefeuille wohl, neu interpretiert) klingen mögen: einer der - auch optisch - spannendsten Gänge. Ich notiere: "Schoko, Maroni, Trüffel, Pilz.............."

Foto: Harald Fidler

Dessert-Motto "We broke the Lemon Tarte" - "Zitronengras-Eis, Zitrone, Zabaione, Teig, Chilli ... Herrn Fidler schmeckt es etwas zu zitronenzestenbitter und zu 80er-Jahre."

Um nicht zu sagen: Er fand den Gang auf dem Teller mit stilisierten Sprüngen als Abschluss ein bisserl albern, der Fidler.

Foto: Harald Fidler

Zu den Petits Fours Pontemontes Fazit:  "Streckenweise wirklich sensationell. Verspielt, schön und schon geil. Zum Teil völlig abgefahrene und interessante Geschmackskompositionen. Weinbegleitung sehr, sehr fein. Massimo Bottura hat seine Sache sehr gut gemacht. Shampoo würden die Franzosen sagen ..." (Harald Fidler, derStandard.at, 1.4.2014)

Foto: Harald Fidler