Daniel M. (r.) und Christine R. wurden im SOS-Kinderdorf Wien von Dieter Schrattenholzer (l.) betreut. Die 18- und der 19-Jährige stehen inzwischen auf eigenen Beinen. Und müssen es auch.

Foto: Regine Hendrich

Wien - Daniel M.s Anspruch auf Unterstützung durch die Jugendwohlfahrt endete vor mehr als einem Jahr. Damals wurde er 18. Der Teenager suchte um Verlängerung an, erhielt diese und nutzte die Zeit: Der heute 19-Jährige schloss eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann ab. M. war drei Jahre lang in einer Jugendwohngruppe von SOS-Kinderdorf mit Rund-um-die-Uhr-Betreuung, danach in einer mobil betreuten WG. Heute lebt er samt Katze in einer eigenen Wohnung, hat einen Job und Zukunftspläne. Betreuung erhält er keine mehr. Er braucht sie auch nicht.

Leben von der Mindestsicherung

Beim SOS-Kinderdorf kennt man junge Leute wie M. - aber auch viele, die diesen Sprung ins selbstständige Leben nicht so gut schaffen. Bei Christina R. lief es weniger glatt: Die heute 18-Jährige wählte zuerst den falschen Lehrberuf. In der zweiten Branche gab es auch Probleme, eine Verlängerung der Jugendwohlfahrtsmaßnahmen wurde ihr als 18-Jährige verwehrt. Nun lebt R. - arbeitssuchend - von der Mindestsicherung.

In der Regel müssen junge Leute mit 18 Jahren zwei Drittel einer Ausbildung absolviert haben, um gute Chancen auf Verlängerung der Jugendwohlfahrtsmaßnahmen zu haben. Das können kleine Hilfestellungen im Alltag oder bei der Ausbildung sein bis hin zu psychotherapeutischen sowie persönlichkeitsbildenden Maßnahmen. Wohnkosten werden in dieser Zeit auch übernommen. Die Entscheidung darüber obliegt jeweils dem Bundesland.

"Um Almosen betteln"

Dieter Schrattenholzer, pädagogischer Leiter im SOS-Kinderdorf Wien, hinterfragt diese Konzentration auf den beruflichen Werdegang: "Ist ein Jugendlicher mehr damit beschäftigt, seine Persönlichkeit weiterzuentwickeln, ist eine Verlängerung oft nicht möglich." Das Verarbeiten von Traumata werde oftmals nur bis zum 18. Lebensjahr zugestanden, sagt Schrattenholzer. Michael Gnauer, Rechtsexperte bei SOS-Kinderdorf, ergänzt: "Das wird in den verschiedenen Bundesländern ganz unterschiedlich gehandhabt - und überall wird man wie jemand behandelt, der um Almosen bettelt." Familien gesteht die öffentliche Hand hingegen deutlich länger Beihilfen für Kinder zu.

Die Entscheidung über die Jugendwohlfahrtsmaßnahmen liegt zudem im Ermessen des Sozialarbeiters. SOS-Kinderdorf tritt für eine automatische Verlängerung bis 21 Jahre ein. Das fordern auch NGOs wie die Diakonie, die sich mit anderen Interessengruppen zur "Plattform Jugendwohlfahrt" zusammengeschlossen haben.

Neues Konzept bis Herbst 2014

Im Jugendwohlfahrtsbericht 2012 des Familienministeriums zeigen sich scheinbar große Unterschiede zwischen den Ländern: Demnach hat Niederösterreich nur in einem Fall Jugendwohlfahrtsmaßnahmen über den 18. Geburtstag hinaus verlängert. Österreichweit war es 936-mal: 415-mal in der Steiermark, gefolgt von Oberösterreich (166) und Tirol (99). In Wien sind es nur 49, in Salzburg 34 derartige Fälle.

Auf Nachfrage stellt sich die Lage aber anders dar: So gibt der Leiter der Jugendwohlfahrt in Niederösterreich Reinfried Gänger an, es habe 2012 sehr wohl dutzende Verlängerungen gegeben. In Oberösterreich heißt es, 2012 sei die Unterstützung insgesamt 235-mal (nicht 166-mal) auch Älteren gewährt worden. Im Ministerium heißt es, die Berichtszahlen kämen aber von den Ländern. Unter der Hand hört man, diese Statistik nehme kaum jemand ernst. "Hauptsache ist, die Hilfe kommt an", sagte ein Beamter dem STANDARD. Bis Herbst 2014 soll allerdings ein neues Konzept zur Erfassung der Maßnahmen stehen. Ab 2015 soll also doch Transparenz herrschen. (Gudrun Springer, DER STANDARD, 9.1.2014)