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EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso trennt strikt zwischen EU-Gegnern und -Befürwortern.

Foto: ANTONIO BRONIC / Reuters

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso kennt offenbar nur mehr zwei Typen von Menschen. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die für Europa und die EU sind. Er nennt sie "die proeuropäischen Kräfte". Das sind die Guten (die in den Augen des konservativen Portugiesen am Ende auch immer recht behalten). Und dann gibt es die anderen: die Extremisten, die Populisten, die Fremdenfeindlichen – "gar nicht zu reden von den Rassisten". Für diese "Antieuropäer" seien die Ausländer böse. Sie teilten auch nicht die humanitären Werte, die die Proeuropäer auszeichneten.

Diese Art der Einteilung der Welt hat Barroso am Mittwoch in Athen öffentlich vorgenommen. Er war in der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem griechischen Premierminister Antonis Samaras gefragt worden, ob die Europawahlen im Mai 2014 ein Problem sein könnten bzw. ob die Gefahr bestehe, dass die Stabilität der Regierung Samaras durch Erfolge der linkspopulistischen Protestpartei Syriza von Alexis Tsipras nicht mehr gegeben sein könnte. Tatsächlich scheint sich der sozialistische Koalitionspartner Pasok aufzulösen. Syriza könnte zur stärksten Partei in Griechenland werden.

Der Kommissionspräsident sagte dazu, er halte es zwar für möglich, dass die Antieuropäer dazugewinnen. Aber er sei überzeugt davon, dass die proeuropäischen Kräfte im Mai gewinnen würden – auch im krisengeschüttelten Griechenland. Gleichzeitig sprach er sich für eine grundsätzliche Debatte über Europa aus, gerade im Wahljahr, 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges, in dem sich die Europäer gegenseitig umgebracht haben.

Nun: Barroso hat völlig recht, wenn er eine breite politische Debatte darüber fordert, was wir Europäer an der Einigung und der Integration seit 1957 haben und wie das in Zusammenhang mit dem billigen Populismus von ganz links und vor allem ganz rechts steht. Er liegt aber völlig falsch, wenn er glaubt, die Menschheit gleich in zwei hart voneinander abgegrenzte politische Lager teilen zu können und dabei einem Teil jede Berechtigung abzusprechen. Nicht jeder, der sich kritisch bis radikal kritisch zur Politik der Europäischen Union äußert, ist gleich ein politischer Extremist.

Alexis Tsipras zum Beispiel hat im Streit um die Eurohilfen für Griechenland, um die harten Spar- und Reformprogramme oder zu Deutschland in den vergangenen Jahren zweifelsohne einigen Unsinn verbreitet. Auch seine Forderung, sein Land solle aus der Währungsunion austreten, war wohl etwas naiv und hätte noch mehr sozialen Schaden unter den Griechen angerichtet. Seine antikapitalistischen Sprüche sind oft eher schlicht gestrickt. Die Syriza aber deshalb auf eine Stufe bzw. in ein Lager mit den griechischen Neofaschisten zu stellen, mit der Nazi-Partei von der Goldenen Morgenröte, ist ein starkes Stück.

Diese sind erklärte Antidemokraten, rufen zur Hatz gegen Schwule ebenso auf, wie sie Ausländern die Grundrechte absprechen. Mitglieder der Morgenröte sind in Diebstahl und Korruption verwickelt, 2013 für den Mord an einem linken Musiker verantwortlich. Auf der anderen Seite hat sich etwa Tsipras nie dafür ausgesprochen, die EU als solches gleich zu zerschlagen. Er hat die Union auch nicht als "Diktatur" verunglimpft, wie das Marine Le Pen, die Chefin des französischen Front National ständig tut.

Barrosos Vereinfachungen in Athen sind diesbezüglich also absolut unangebracht. Er hat sich in diesen Wirbel offenbar aus lauter Freude darüber, dass Griechenland die Krise überlebt hat, etwas übereitel hineingeredet. Denn er teilte die Welt auch in diesem Zusammenhang in zwei Hälften: die, die unrecht hatten mit der Vorhersage, die Griechen müssten raus aus dem Euro; und jene, die recht behalten hätten, allen voran die EU-Kommission. Also er, Barroso.

Ein Gutes haben die ungenauen Ausführungen des Kommissionspräsidenten zu Proeuropäern und Antieuropäern nur wenige Wochen vor dem beginnenden EU-Wahlkampf dennoch: Es wird langsam Zeit, eine Debatte darüber zu führen, wie EU-Befürworter und EU-Kritiker in der öffentlichen Debatte miteinander umgehen; und wie man unterscheiden kann zwischen einer EU-Kritik, die im demokratischen Spektrum bleibt, und jenen Populisten und Extremisten, denen es nicht um Reform der Union, sondern in Wahrheit um die Zerschlagung der EU geht, um die Rückkehr zum Nationalstaat alten Typs, oft verbunden mit Rassismus und völkischen Konzepten.

Dies muss realistischerweise stärker zu einer Diskussion über rechte und rechtsextreme Politiker und Gruppierungen/Parteien führen als über linke und linksextreme. Denn die Linke spielt in Europa derzeit kaum eine Rolle, mit Ausnahme von Syriza in Griechenland vielleicht, der Linkspartei in Deutschland oder einigen kleinen Gruppen in Nordeuropa.

Die Rechts- bis rechtsextremen Parteien hingegen erleben gerade wieder eine Renaissance, in Frankreich, in Griechenland, in Großbritannien vor allem mit der Unabhängigkeitspartei (Ukip) von Nigel Farage, einem aggressiven EU-Gegner, in der Slowakei, Ungarn, Rumänien, in Bulgarien, quer durch Europa. Und natürlich in Österreich, wo die FPÖ nicht nur zu einem scharfen EU-skeptischen Wahlkampf ansetzt, sondern auch aktiv das Bündnis mit den französischen Rechtsextremen des Front National von Le Pen gesucht hat. Ihr Ziel: die EU mindestens zurückzubauen.

Wenn nicht alles täuscht, wird die Auseinandersetzung in Österreich besonders heftig ausfallen, auch weil die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP nach der Wahlniederlage im Herbst und der müden Wiederauflage der Koalition müde und ausgelaugt erscheinen. Es erweist sich auch als Fehler, dass in den Volksparteien EU-kritische Haltungen von jeher unterdrückt werden.

Da die Grünen (die bis zum EU-Beitritt 1995 noch stramme EU-Beitrittsgegner waren) inzwischen zu glühenden Anhängern der Vereinigten Staaten von Europa mutiert haben, fällt es den Freiheitlichen unter Heinz-Christian Strache relativ leicht, die schlechte Stimmung der Bürger und die EU-Skepsis in Wählerstimmen umzumünzen. Auch wenn die Freiheitlichen stets bestreiten, Antieuropäer zu sein, und behaupten, "nur" eine "andere EU" zu wollen, gibt es viele Anzeichen, dass sie in Wahrheit doch auf ein Zerschlagen der Union aus sind. Der jüngste Brückenschlag zu Le Pen war diesbezüglich eher eine Bestätigung.

Aber darüber muss geredet, diskutiert, gestritten werden. Nur insofern hat Barroso recht. In einer Demokratie müssen die Bürger über ihr Verhältnis zum Staat Österreich und zur Union Europa Stellung beziehen. Dafür sind Wahlen ja da. (Thomas Mayer, derStandard.at, 9.1.2013)