Wer sich nicht in eine geheizte Wohnung zurückziehen, sich ein dickes Fell wachsen oder in den Süden fliegen kann, muss andere Strategien entwickeln, um sich vor der Kälte zu schützen. Einige Tiere begeben sich in Winterruhe, -schlaf oder -starre, um den strengen Witterungen und der Nahrungsknappheit zu entgehen. Doch statt Minusgraden gab es bislang Sonne, Wind und etwas Regen. Daher zeigen viele Tiere in Österreich im Moment untypische Verhaltensweisen. "Die Vögel sind teilweise schon in Balzstimmung. Es ist wie im Frühjahr", sagt Hans Frey, Leiter der Eulen- und Greifvogelstation Haringsee in Niederösterreich.

Grund zur Sorge sieht er aber zurzeit deshalb nicht: "Die Vögel beginnen noch nicht zu brüten." Und wenn ein Kälteeinbruch kommt, könne sehr schnell wieder eine hormonelle Umstellung einsetzen. Der Veterinärmediziner sieht eher ein Problem für die Vegetation, da Pflanzen teilweise schon Triebe bekommen. "Wenn dann ein Frost kommt, kann es problematisch werden."

Keine erschöpften Wildtiere abgegeben

"Tiere, die wie Dachse oder Eichhörnchen üblicherweise eine Winterruhe machen, bleiben aktiver", bestätigt auch Walter Arnold vom Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie an der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Denn bei milden Temperaturen und fehlender Schneedecke können sie länger auf Nahrungssuche gehen. Viele Tierarten würden bislang von dem milden Winter sogar profitieren. "Der auffallendste Unterschied zu den vergangenen Jahren ist, dass wir heuer noch keine erschöpften Wildtiere bekommen haben", sagt Frey.

Einige Hamsterarten halten Winterschlaf.

Einige Zugvögel reagieren auf Wetterverhältnisse

Ebenfalls ungewöhnlich für diese Jahreszeit: Hans Frey hat erst am Wochenende einen Trupp Kraniche im Marchfeld beobachtet. "Bei uns fliegen zudem täglich Gänse über die Station." Normalerweise würden diese Zugvögel mit dem Beginn strengerer Temperaturen in den Süden ziehen. Nun bleiben sie aber noch länger in den sogenannten "Zwischenraststationen".

Die Annahme, dass immer mehr Saatkrähen einfach in Österreich bleiben, teilt Frey jedoch nicht. Nur ein kleiner Prozentsatz würde das ganze Jahr bleiben. Richtige Brutkolonien gibt es nur im Osten Österreichs, vor allem im Burgenland und in Niederösterreich.

Insektenfresser verlassen Österreich früher

Wann die Vögel das Land verlassen, habe mit dem Nahrungsangebot zu tun. "Insektivore Vögel müssen einfach weg", sagt Walter Arnold. Hier gebe es eine große Variabilität an Verhalten: Mauersegler verlassen das Land schon Ende August. Doch dann gibt es auch die sogenannten "Strichvögel". Dazu zählen alle im Sommer in einem Gebiet heimischen Vogelarten, die vor allem im Winter ihr Brutgebiet verlassen. Sie unternehmen jedoch keine Wanderungen in den Süden wie etwa die Zugvögel, sondern bleiben in denselben Breiten. Stare fliegen zum Beispiel nur ein Stück weiter in wärmere Gegenden.

Anfang Jänner Kraniche in Niederösterreich: Der milde Winter macht es möglich.

Igel finden noch Regenwürmer

Besonders auffällig sind in diesem Jahr auch die Igel, die teilweise noch munter in den Gärten unterwegs sind. In Ländern, in denen wie in Österreich die Winter kühler ausfallen, halten Igel Winterschlaf. Dabei atmen sie statt 40- bis 50-mal pro Minute nur noch ein- bis zweimal. Das Herz schlägt statt 200- nur noch fünfmal pro Minute. Die Körpertemperatur kann sogar bis auf acht Grad Celsius absinken. Es gibt regionale Unterschiede, doch oft begeben sie sich schon im November zur Ruhe. Die Sinneorgane sind jedoch trotz der Kälte aktiv, deshalb wachen sie bei Störungen wieder auf.

Auch im weitläufigen, zum großen Teil naturbelassenen Areal der Greifvogelstation wurden Igel beobachtet, die in der Nacht nach Regenwürmern graben. "Das kommt in milden Winterabschnitten vor, das ist nichts Außergewöhnliches", sagt Frey. Die Tiere sind oft gut genährt, da sie noch ausreichend Nahrung finden. Riskant wird es nur, wenn sie bereits im Herbst nicht genügend Fettreserven aufbauen konnten und dann im Winter zusätzlich Energie verbrauchen.

Tierischer Opportunist

Um Igel müsse man sich aber wenig Sorgen machen, sagt Arnold: "Sie sind Opportunisten. Sie sind häufig auch im strengen Winter unterwegs." Ein Absenken der Stoffwechselaktivität sei immer eine Reaktion auf eine Notsituation, um zum Beispiel der Nahrungsknappheit auszuweichen. "Wenn es nicht unbedingt sein muss, vermeiden das viele Tiere", so der Veterinärmediziner.

Nicht alle munteren Igel brauchen im Winter Hilfe. Gut genährte Exemplare ziehen sich bei Kälteeinbrüchen einfach zurück.

Beute ebenfalls noch aktiv

Zum Fressen gibt es noch genug für die stacheligen Tiere, denn ihre bevorzugte Beute hat sich ebenfalls noch nicht zurückgezogen. "Bei uns im Garten ist schon fast das ganze Laub entsorgt, weil die Regenwürmer noch so aktiv sind", berichtet Frey. Normalerweise ziehen sich die Würmer in tiefere, frostfreie Schichten zurück und werden erst wieder aktiv, wenn es wärmer wird.

Murmeltiere orientieren sich an der Tageslänge

Strenge Winterschläfer sind zum Beispiel Murmeltiere. Sie verbringen überhaupt rund 90 Prozent ihres Lebens in ihren sicheren Höhlensystemen. Die Schlafstätte wird mit Gras ausgepolstert und der Eingang zum Winterbau mit "Zapfen" aus Erde, Steinen und Gras verschlossen. Bis zu 20 Tiere schlafen gemeinsam in so einem Bau und wärmen sich gegenseitig. Dadurch kann es fünf bis zehn Grad haben. Die Überlebenschancen der Jungtiere steigen.

"Murmeltiere sind nach wie vor Eiszeittiere und leben daher auch heute noch über der Waldgrenze", sagt der Vetmed-Winterschlafexperte. Ende September gehen alle in Winterschlaf. Denn dieses Verhalten ist über die Tageslänge und nicht über Temperaturen gesteuert.


Das Murmeltier lässt sich vom Wetter überhaupt nicht beeindrucken. Wann sich das Tier in den Winterschlaf begibt, steuert die Tageslänge. Daher müssen sie sich rechtzeitig Fettreserven anfressen.

Differenzierung zwischen "Ruhe" und "Schlaf" veraltet

Während des Winterschlafs und der Winterruhe werden Körpertemperatur und Herztätigkeit auf wenige Schläge pro Minute herabgesetzt. Spätestens alle zwei oder drei Wochen unterbrechen außerdem alle Tiere den Winterschlaf und erhöhen die Körpertemperatur, etwa zur Nahrungsaufnahme, zur Absetzung von Kot oder um einfach nur die Schlafposition zu verändern. Den Übergang von Winterruhe zu Winterschlag beschreibt Frey als "graduell".

"Traditionsgemäß gibt es eine strenge Unterscheidung, die auch in allen Lehrbüchern steht. Sie lässt sich aber nach dem heutigen Stand der Wissenschaft nicht mehr halten", erklärt Walter Arnold. Es habe in den vergangenen Jahren ein Paradigmenwechsel in der Winterschlafforschung stattgefunden. Früher glaubte man, dass die Winterschläfer ihre Stoffwechselaktivität senken, weil sie die Körpertemperatur senken und dadurch alle enzymatischen und biochemischen Vorgänge im Körper langsamer ablaufen. "Wir wissen heute, dass das nicht der Fall ist, sondern dass die Stoffwechselrate selbst die aktiv regulierte Größe ist. Die Körpertemperatur sinkt notgedrungen aufgrund der verringerten inneren Wärmeproduktion", sagt Arnold. Und ergänzt: "Wir wissen heute, was Henne und Ei ist."

Daher sei eine strenge Unterscheidung gar nicht mehr sinnvoll. Denn eine moderate Herabsenkung der Stoffwechselaktivität machen auch die Winterruher. Das kann auch nur temporär, etwa in kalten Nächten sein und sich nicht einmal in einer dramatischen Veränderung der Körpertemperatur widerspiegeln.


Raubtiere profitieren im Winter, wenn ihre Beute ebenfalls noch aktiv ist. Hier hat ein Fuchs ein Eichhörnchen erlegt.

Größere Tiere

Auch die Größe eines Tieres hat einen großen Einfluss darauf, wie schnell es auskühlt. Bei sehr kleinen Tieren führt der Abfall der Stoffwechselaktivität zu einer dramatischeren Auskühlung. Bei einem großen Tier erkennt man das hingegen gar nicht. Den Bären etwa hat man lange Zeit als klassischen Winterruher angesehen, da er konstant eine Körpertemperatur von mehr als 30 Grad Celsius hält. "Nach neuen Erkenntnissen verringert er seine Stoffwechselaktivität aber genau so wie die eines echten Winterschläfers. Er ist einfach zu groß, als dass er auskühlen könnte", sagt Arnold. Eine kleine Maus müsse hingegen nur ein wenig "herunterschalten" und werde sofort kalt.

Außerdem haben Forscher den Zustand der Winterruhe auch bei vielen Tieren gefunden, bei denen man es bisher nicht vermutet hätte. "Praktisch alle Wildwiederkäuer wie Steinbock, Rotwild oder Gämsen begeben sich in einen Energiesparmodus. Im Körperkern stellt sich das nur in Zehntelgraden dar. Aber die äußeren Extremitäten werden extrem kalt, was die Tiere aber aushalten", sagt Arnold.

Dieses Verhalten könne man auch nicht aushebeln. An der Veterinärmedizinischen Universität Wien gab es Versuche, zum Beispiel Rotwild das ganze Jahr über mit bestem Futter zu versorgen. Trotzdem fraßen die Tiere im Winter nur noch die Hälfte ihrer Sommerration. "Sie haben einfach keinen Appetit mehr und leben auch zu einem großen Teil von ihren Fettreserven", so Arnold. "Wir können davon ausgehen, das so gut wie alle Tierarten der kalten Zonen jahreszeitliche Programme haben. Sogar wir Menschen haben das ja ein bisschen." (Julia Schilly, derStandard.at, 17.1.2014)