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Wien - Sie haben vieles versucht. Die weltweit wichtigsten Notenbanken, allen voran die Europäische Zentralbank und die US-Fed, haben seit Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise mehr als 500 Mal Zinsen gesenkt, Anleihen mit frisch gedrucktem Geld gekauft und sich auf viele Jahre zu ihrer lockeren Geldpolitik verpflichtet. Doch eine aktuelle Studie von Goldman Sachs zeigt, dass Notenbanken weltweit ihre selbstgesteckten Inflationsziele zum Teil deutlich verfehlen.

Die Europäische Zentralbank etwa hat von der Politik das Mandat bekommen, eine Ziel-Inflation von "nahe, aber unter zwei Prozent" anzustreben. Das sei mit der Hauptaufgabe der EZB, der Preisstabilität, bestens vereinbar und biete gleichzeitig einen "Abstand" zur ökonomisch gefährlichen Deflation, also fallenden Preisen. Doch die Konsumentenpreise stiegen zuletzt deutlich langsamer in der Eurozone, als es die EZB ermöglicht. Gemessen an den für die Notenbanken wichtigen Kerninflationsraten gerade einmal um 0,7 Prozent.

Ähnlich weit weg sind auch Notenbanken anderswo, etwa in den USA. Für die Ökonomen von Goldman Sachs rund um Chefvolkswirt Jan Hatzius gibt es für die hartnäckig niedrige Inflation vor allem zwei Gründe: Erstens werden die Kapazitäten in den Volkswirtschaften kaum ausgeschöpft, und damit besteht kein Preisdruck. Das lasse sich etwa an den Arbeitsmärkten ablesen. Die Arbeitslosenraten sind weltweit deutlich höher als noch zu Beginn der Finanzkrise, gleichzeitig sind die Löhne kaum gestiegen. Zweitens kommt noch dazu, dass seit 2012 auch die Rohstoffpreise stagnieren oder sogar fallen.

"Die Eurozone droht immer noch in die Deflation abzurutschen", warnt der Ökonom Guntram Wolff von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel in einem aktuellen Beitrag. Das wäre ein Umfeld sinkender Preise. Aktuell, so zeigen Zahlen der Statistikbehörde Eurostat, ist das Preisniveau in sechs Ländern der EU rückläufig oder stagniert. Das sei gerade deswegen problematisch, weil es damit hochverschuldeten Haushalten und Staaten schwerer fällt, ihre Schulden zu bedienen, warnt Wolff. "Damit untergräbt die niedrige Inflation in der Eurozone die Schuldentragfähigkeit von Privaten und Staaten, gerade in der Peripherie", sagt Wolff. Er warnt daher, dass die niedrige Inflationsrate zu einem "realen Risiko für die Eurozone" geworden ist.

Gefahr "langjähriger Stagnation"?

Am vergangenen Donnerstag hat Mario Draghi, Chef der EZB, nach der Zinsentscheidung betont, dass die Geldpolitik in Europa weiter "in hohem Maße konjunkturstimulierend" sein werde. Und der Italiener ergänzte einen wichtigen Satz: "Ich möchte deutlich machen, dass wir ein Mandat haben, um Preisstabilität zu sichern, und zwar in beide Richtungen." Die EZB sorge sich daher nicht nur um zu hohe Inflation, wie etwa 2008, als rekordhohe Ölpreise die Teuerung in der Eurozone drastisch erhöhten, sondern auch um zu niedrige Inflation.

Dass die Zentralbanken seit zwei Jahren wieder deutlich ihre Ziele verfehlen, hat in Ökonomenkreisen zu regelrechter Schwarzmalerei geführt. Gerade in den USA wird aktuell die Gefahr einer "langjährigen Stagnation" diskutiert. Der renommierte Harvard-Ökonom Lawrence Summers, den US-Präsident Barack Obama gerne zum künftigen Chef der US-Notenbank Fed gemacht hätte, hatte vor einer "secular stagnation" in einem Vortrag beim Internationalen Währungsfonds gewarnt. Den Industrienationen und selbst den zuletzt wieder etwas stärkeren USA drohten eine lange Phase niedrigen Wachstums und hoher Arbeitslosigkeit, trotz niedriger Zinsen, warnt Summers.

Denn die lockere Geldpolitik hätte kaum Effekt für die Realwirtschaft, Löhne und Investitionen, sondern hauptsächlich auf die Finanzmärkte. Summers fordert daher eine Reihe von Maßnahmen, allen voran staatliche Investitionen, um die Stagnation zu überwinden. Besonders kritisiert er, dass die Arbeitslosigkeit weiterhin deutlich erhöht ist, bei 6,7 Prozent. Doch hier kann weniger die Notenbank selbst als die Wirtschaftspolitik gegensteuern.

"Sehr eingeschränkt und unsicher"

Die Zentralbanker haben in den vergangenen Jahren eine Reihe von "unorthodoxen Maßnahmen" umgesetzt. Die US-Notenbank etwa hat nicht weniger als 3126 Milliarden Dollar (2287 Milliarden Euro) an Wertpapieren seit August 2008 gekauft, um Finanzmärkte und Realwirtschaft anzuschieben. Ob private Haushalte und Unternehmen etwas davon haben, wenn die Notenbank lang laufende Staatsanleihen in Massen aufkauft, bezweifeln auch Volkswirte innerhalb der internationalen Institutionen. Olivier Blanchard, Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, erklärte jüngst, dass die Effekte von Maßnahmen wie Anleihenkäufen "sehr eingeschränkt und unsicher" seien. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 13.1.2014)