Die Bildungsdebatte sei wieder im ideologischen Eck gelandet, bedauert der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP): "Man soll die Debatte über Bildung nicht auf die gemeinsame Schule reduzieren."

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STANDARD: Wie sieht die Schule der Zukunft aus?

Wallner: Die Schule der Zukunft sollte in erster Linie eine sein, die Kinder zum Lernen motiviert, die Begeisterungsfähigkeit erzeugt, die Kreativität wachsen lässt und die auch exzellente Fachausbildung liefert. Beim Neujahrsempfang der Arbeiterkammer hat Harald Krassnitzer in seiner Festrede gesagt, die Schule sollte so sein, dass die Kinder in den Ferien weinen, weil sie nicht in die Schule gehen dürfen. Darum geht's, Schule sollte Herzensbildung, aber auch Fachwissen vermitteln. Bildung ist unsere wichtigste Ressource, unser Zukunftskapital für die Standortentwicklung.

STANDARD: Schule sollte also die passenden Arbeitskräfte liefern?

Wallner: Ich würde davor warnen, Bildung auf die Fachkräftefrage zu reduzieren. Bildungspolitik ist Gesellschaftspolitik. Bildung ist ein Instrument zur Armutsverhinderung in der Zukunft. Qualifikation ist die Voraussetzung für Chancengleichheit, für beruflichen Erfolg. Unser Kapital ist gute Ausbildung. Deshalb kämpfe ich in der Frage so, auch wenn ich damit da oder dort anecke. Denkverbote sind da fehl am Platz.

STANDARD: Womit wir bei Ihrem Parteiobmann Michael Spindelegger wären. Haben Sie mit ihm Ihre Ideen zur Bildungspolitik diskutiert?

Wallner: Ja, immer wieder intensiv. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass man die Bildungsdebatte nicht auf die gemeinsame Schule verkürzen sollte. In Vorarlberg setzen wir uns intensiv mit der gesamten Bildungslaufbahn auseinander - von der Frühförderung über die Lehrlingsausbildung bis hin zur Ganztagesbetreuung und der Wissenschaft.

STANDARD: Ist Ihre Beziehung zu Ihrem Parteiobmann nun gestört?

Wallner: Mit dem Vizekanzler bin ich unterschiedlicher Auffassung. Eine gute Beziehung lebt aber davon, dass man gelegentlich anderer Meinung ist, sonst wird doch jede Beziehung langweilig.

STANDARD: Was läuft in der aktuellen Diskussion schief?

Wallner: Leider werden da die ideologischen Gräben wieder sichtbar. Ein alter, österreichischer, parteipolitischer, ideologischer Reflex. Vielleicht sollte man einen anderen Begriff erfinden für die gemeinsame Schule, das Wort elektrisiert anscheinend sehr.

STANDARD: Man hat doch bereits die "linke" Gesamtschule durch gemeinsame Schule ersetzt.

Wallner: Ob das Ergebnis gemeinsame Schule heißt oder anders, ist ehrlich gesagt, ziemlich uninteressant. Es geht um eine sachliche Debatte. Bildung ist Herstellung von Chancengleichheit, aber Bildung ist auch der Weg zur Spitzenleistung. Lasst uns darüber reden, wie man das erreichen kann. Man sollte Weiterentwicklung zulassen. Über pädagogische Konzepte, rechtliche und finanzielle Leistungen diskutieren. Ich verstehe nicht, warum man nicht aus der ideologischen Ecke herauskommt.

STANDARD: Mit "man" meinen Sie Ihren Parteiobmann?

Wallner: Ich schließe da niemanden aus, auch nicht die Opposition. Auf der einen Seite wird Gesamtschule als sozialistischer Einheitsbrei gesehen, die Opposition erweckt wiederum gerne den Eindruck, man könnte die gemeinsame Schule am nächsten Montag einführen. Das ist Träumerei. Wir müssen aber sehen, dass die frühe Entscheidung über die weitere Bildungslaufbahn den Eltern Sorgen bereitet. Das auszuklammern und zu sagen, das interessiert uns die nächsten fünf Jahre nicht, ist ein Fehler.

STANDARD: Die Bundesregierung will keinen Modellversuch gemeinsame Schule. Werden Sie nun im Alleingang aktiv?

Wallner: Die Bundesländer werden weiter den einen oder anderen Versuch verlangen. Und sie werden dabei sorgfältig vorgehen.Es gäbe keinen Grund zur Panik. Jeder Versuch wird wissenschaftlich begleitet werden müssen. Bleibt der Bund bei seinem Nein, erschwert das alles sehr. Wir haben ein Forschungsprojekt zu pädagogischen, rechtlichen, finanziellen Fragen laufen. Im Frühjahr 2015 werden wir Ergebnisse haben. Schnellschuss produzieren wir keinen, der bringt außer weiteren Streitereien gar nichts.

STANDARD: Unterrichtsministerin Heinisch-Hosek sagt, Sie könnten jederzeit einen Schulversuch starten. Sie müssten halt die Gymnasien zum Mitmachen gewinnen. Hat sie ins Schwarze getroffen?

Wallner: Die Überzeugung der Gymnasien gehört wohl zu den schwierigsten Aufgaben. Das wird aber in ganz Österreich so sein. Die Aussage der Unterrichtsministerin halte ich in diesem Zusammenhang für ziemlich flach.

STANDARD: Die Kooperation mit den Gymnasien habe auch bei der Neuen Mittelschule nicht funktioniert, kritisierte kürzlich der Rechnungshof.

Wallner: Die Neue Mittelschule hat pädagogisch viele Fortschritte gebracht. Aber es stimmt: Gymnasien sind noch Hürden auf dem Weg zu gemeinsamen Projekten.

STANDARD: Vorarlberg wählt im Herbst, wahrscheinlich am 21. September, den neuen Landtag. Die FPÖ wirft Ihnen vor, die Schuldiskussion sei wahlkampftaktisches Scheingefecht. Gehört Vorarlberg gegen Wien zu Ihrer Wahlkampftaktik?

Wallner: Mit dem Klischee "Vorarlberg gegen Wien" kann ich nichts anfangen. Wir agieren vielleicht manchmal anders als andere in der Republik. Mehr sach- als parteipolitisch. Ich kann viele Beispiele der Kooperation aufzeigen, etwa bei der Familienbeihilfe, beim Finanzausgleich. Wir schauen uns die Sachfragen gut an. Werden unsere vitalen Interessen berührt, vertreten wir unsere Interessen gegenüber allen auf Bundesebene sehr engagiert, manchmal auch widerspenstig.

STANDARD: In letzter Zeit proklamieren Sie auffällig oft den "eigenständigen Vorarlberger Weg". Das klingt ebenfalls nach Wahlkampf, nach Super-Föderalismus.

Wallner: Wir sind ein Bundesland, das durch seine Haushaltsführung Spielräume hat, die es ermöglichen, Akzente für die Zukunft zu setzen. Anderen ist längst die Luft ausgegangen. Wir haben Kraft für Zukunftsinvestitionen, das ist der eigenständige Weg.

STANDARD: Werden die Vorarlberger Nationalratsabgeordneten, wie die Steirer, eigenständig agieren?

Wallner: An der bisherigen Praxis wird sich nichts ändern. Abgeordnete sollen in Sachfragen Landesinteressen prüfen. Ich halte nichts davon, wenn Abgeordnete aus einer Sitzung ausziehen. Generelles Dagegensein ist kontraproduktiv.

STANDARD: Bei der Landtagswahl werden erstmals auch die Neos antreten, die ÖVP wird die absolute Mehrheit voraussichtlich verlieren. Wie reagieren Sie auf die neue Konkurrenz?

Wallner: Das Vorarlberger Ergebnis der Neos bei der Nationalratswahl von 13 Prozent hat uns natürlich aufgerüttelt. Noch ist die neue Partei schwer einschätzbar. Für uns ist es wichtig, uns auf die eigene Arbeit zu konzentrieren und mit guten Kandidaten in den kommenden Wahlkampf einzusteigen.

STANDARD: Werden Sie Ihr Team erneuern?

Wallner: Fast die Hälfte der ÖVP-Mandatare wird nicht mehr antreten. Der Generationswechsel, der an der Spitze der Landesregierung begonnen hat, wird sich fortsetzen, bis in die Gemeinden hinein. (Jutta Berger, DER STANDARD, 13.1.2014)