Leiterin des Wiener AMS für Jugendliche: Gerda Challupner.

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Für die Leiterin der AMS-Geschäftsstelle für Jugendliche in Wien, Gerda Challupner, sind die Schuldigen in der Debatte nicht so einfach zu benennen. Es wäre zwar wünschenswert, Jugendliche auf dem ersten Lehrstellenmarkt unterzubringen, dafür müsse man aber mehr Geld in die Hand nehmen, sagt sie im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Die Regierung hat bei der Klausur in Waidhofen an der Ybbs am Mittwoch bekanntgegeben, dass die Ausbildungspflicht bis 18 ab September 2016 mit Sanktionen bei Nichteinhaltung verbunden sein wird. Erziehungsberechtigte müssen dann eine Verwaltungsstrafe von mehr als 400 Euro entrichten. Wie beurteilen Sie diese Neuerung?

Challupner: Ich empfinde alle Maßnahmen als positiv, durch welche möglichst viele Jugendliche in Beschäftigung kommen. Wenn etwas Pflicht ist, dann nimmt man es doch teilweise eher ernst und kann damit vielleicht auch mehr Jugendliche erreichen, die ihre Ausbildung dann konsequenter beginnen oder fortsetzen. Für die Jugendlichen kann es gut sein, wenn sie ein Signal bekommen, das ihnen vermittelt, wie wichtig eine Grundausbildung ist. Allerdings weiß ich über diese neue Maßnahme noch zu wenig Bescheid, etwa wie man die Nichteinhaltung überprüfen will und wann die Sanktionen wirklich zum Tragen kommen.

derStandard.at: Jugendliche beziehungsweise deren Erziehungsberechtigte werden hier als Schuldige dargestellt. Wie verhält es sich wirklich?

Challupner: Als schuldig würde ich in diesem Fall niemanden bezeichnen. In meiner Geschäftsstelle gibt es viele Jugendliche, die schon seit längerem ohne Beschäftigung sind. In der Öffentlichkeit heißt es immer, dass dies diejenigen sind, die nicht arbeiten wollen. So sehe ich das aber überhaupt nicht. Jene Jugendlichen, die nach der Pflichtschule nicht sofort mit einer Ausbildung beginnen oder weiter in die Schule gehen, haben Gründe dafür. Diese können familiärer oder persönlicher Natur sein, aber auch gesundheitliche Einschränkungen können ein Grund sein.

Es gibt eben Jugendliche, die den Übergang nicht nahtlos schaffen. Ihnen muss durch besondere Angebote geholfen werden. Man muss den individuellen Jugendlichen verstärkt ins Blickfeld rücken. Im Moment sind in meiner Geschäftsstelle etwa 13.000 Jugendliche zwischen 15 und 21 arbeitssuchend bzw. lehrstellensuchend. Wenn es nun aber heißt, dass jeder von ihnen etwas machen muss, dann muss man auch mehr Angebote zur Verfügung stellen – und damit natürlich mehr Geld.

derStandard.at: Bundeskanzler Werner Faymann wies bei der Regierungsklausur auch auf überbetriebliche Lehrwerkstätten hin, die es bereits gibt, die aber ausgebaut werden sollen. Ist es sinnvoll, Jugendliche zur Ausbildung in diese Lehrstätten zu schicken, oder wäre es besser, mehr Geld in Richtung Betriebe umzuleiten?

Challupner: Es gibt in Wien momentan etwa 3.000 Jugendliche, die sich in dieser überbetrieblichen Ausbildung befinden. Dort werden aber nur gewisse Berufe angeboten, in Wien etwa 30 bis 40 Ausbildungsberufe. Das ist natürlich eine Einschränkung, weswegen es wunderbar wäre, wenn alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz auf dem ersten Lehrstellenmarkt erhalten würden. Das ist aber schlichtweg nicht möglich. In bestimmten Bereichen gibt es einfach zu wenig Angebot an freien Lehrstellen, und deshalb muss es auch die überbetrieblichen Lehrwerkstätten geben.

derStandard.at: Wie steht es um die Sinnhaftigkeit der angesprochenen Sanktion bei den sogenannten "arbeitsmarktfernen" Jugendlichen?

Challupner: Gerade hier ist es entscheidend, diese Jugendlichen individuell zu betreuen. Programme, die dazu dienen, diese Jugendlichen zu unterstützen und auf eine Beschäftigung bzw. eine Lehrstelle vorzubereiten, müsste man ebenso anerkennen, da sie dazu dienen, den Jugendlichen weiterzubringen, was somit einer Vorbereitung auf die Ausbildung entspricht.

derStandard.at: Auf der einen Seite gesteht man Jugendlichen zu, mit 16 Jahren wählen zu können, auf der anderen Seite versucht man sie zu bevormunden. Was sagen Sie zu diesem Widerspruch?

Challupner: Ich würde die angekündigte Maßnahme nicht als bevormundend bezeichnen. Wenn sie gut umgesetzt wird, berücksichtigt sie, dass sich Jugendliche in einer Entwicklungsphase befinden. Stärken und Interessen müssen oftmals erst ermittelt werden, und das braucht Zeit. Eine reine Zwangsmaßnahme würde ich ablehnen, aber das ist wohl auch nicht geplant. Auf die konkrete Ausgestaltung wird es ankommen. (Elisabeth Kleinlercher, derStandard.at, 16.1.2014)