US-Autor John Williams (1922-1994) gelangt mit seinem jetzt neu aufgelegten Roman "Stoner" zu posthumem Erfolg. Die lakonisch erzählte, autobiografisch durchwirkte Lebensgeschichte eines durchschnittlichen Mannes sorgt zu Recht für weltweite Begeisterung.

Foto: University of Arkansas

Wien - 1965 veröffentlichte John Williams, ein bis dahin unauffälliger Englischprofessor für Creative Writing an der Universität von Denver, Colorado, seinen Debütroman Stoner, ein "meisterhaftes Porträt eines durchschnittlichen, fast unsichtbar durchs Leben gehenden Mannes".

Die hier zitierte hymnische Kritik in der US-Zeitschrift The New Yorker blieb die große Ausnahme. Ihr Verfasser konnte sich zwar für diese fiktionale, allerdings autobiografisch erheblich durchwirkte Lebensgeschichte eines unbedeutenden Englischprofessors an einer unbedeutenden Provinzuniversität in Missouri in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begeistern, der Roman verschwand allerdings schon innerhalb eines Jahres wieder sang- und klanglos vom Markt und blieb jahrzehntelang vergriffen.

Der 1922 in Missouri in ärmlichen Verhältnissen geborene John Williams hätte so wie sein Romantitelheld William Stoner ursprünglich die elterliche Farm übernehmen sollen, wird aber (anfangs sehr zu seinem Widerwillen) auf die Universität geschickt, um Landwirtschaft zu studieren. Dort entdeckt er seine Liebe zur Literatur und wechselt heimlich das Studienfach. Der Zweite Weltkrieg kommt dazwischen.

Williams dient bei der Luftwaffe, kehrt nicht nach Hause zurück und schließt nach Zwischenstationen als Radio- und Zeitungsjournalist in Denver sein Studium der Englischen Literatur ab. Dort wird er auch bis zu seiner Emeritierung 1985 unterrichten. Dazu veröffentlicht Williams bis zu seinem Tod 1994 zwar noch zwei Gedichtbände sowie drei weitere Romane - ein historischer Roman von 1973 über den römischen Kaiser Augustus (Augustus) wird sogar mit dem National Book Award ausgezeichnet -, bis zur Wiederentdeckung seines Hauptwerks Stoner fast 50 Jahre nach dessen Entstehung gilt Williams allerdings als Fußnote der US-Literatur.

Der Roman Stoner mit seinem unauffällig bis zur Sedierung durch ein ereignisloses Leben ohne äußere Höhen und Tiefen treibenden Protagonisten William Stoner bietet definitiv keine Coming-of-Age-Geschichte eines Mannes, der den größten Teil seines Lebens zwischen Büchern verbrachte. Am Ende erkennt Stoner keinesfalls, dass sich auch die unangenehmen Angelegenheiten abseits des Campus Leben nennen. Er nimmt es lieber hin, bis es vorbei ist. Alles geht vorbei.

Hinter Schutzmauern

Dieses Leben hinter Schutzmauern hat abseits Shakespeares und der alten Griechen beispielsweise eine unglückliche, nein, glücklose Ehe zu bieten. Dazu gesellt sich eine depressive Tochter, die zur Alkoholikerin wird. Ein spätes, aber aus Verzagtheit oder Bequemlichkeit abgelehntes Liebesglück und jede Menge Leerlauf kommen auch vor. Durch Letztgenannten ziehen die Jahreszeiten und Demütigungen und Enttäuschungen. Aber sie ziehen vorbei. Alles, alles geht vorbei. Ist man am Ende klüger als zuvor? Kommt eine Pointe? Ist da jemand? Man erahnt die Antwort.

Warum also soll man ein Buch lesen, in dem nichts Aufregendes passiert, allerdings äußere Details ungemein poetisch beschrieben werden, während das darin vorkommende Personal beharrlich wie ein wortkarger Bauer schweigt? Man wird schließlich nie ernsthaft gefragt, wie es einem geht. Und falls einer es wissen wollen würde, müsste man dies dann tatsächlich mühsam erzählen. Das ist nicht so leicht. Zu diesem Zweck müsste man erst einmal in sich hineinhorchen, wie es dort eigentlich ausschaut. Das führt einmal zur erschütternden Aussage: "Er war zweiundvierzig Jahre alt; vor sich sah er nichts, auf das er sich zu freuen wünschte, und hinter sich nur wenig, woran er sich erinnerte."

Nein, man soll dieses Buch unbedingt lesen, weil es einen in all seiner Ruhe, seiner stoischen Erzählkunst und scheinbaren Schicksalsergebenheit tatsächlich mitnimmt, hineinnimmt, noch lange beschäftigt. William Stoner mag nach außen hin eine schweigende Leerstelle sein, die von tiefer Melancholie eingerahmt wird und schon zu Lebzeiten davon bedroht ist, vergessen zu werden.

Schaudern vor dem Nichts

Wie John Williams aber dieses Schaudern vor dem Nichts meisterlich und im ruhigen Duktus komponiert, ist nichts weniger als großartig. Man wird durch Stoner mit harten Fragen konfrontiert: Was ist ein erfülltes Leben? Was könnte Glück bedeuten? Ist es ein Glück, wenn nichts passiert - oder sind wir schon froh, wenn sich etwas tut, das man nicht sofort als Unglück beklagt? Müssen wir zufrieden sein mit dem, was wir haben? Warum wollen wir mehr? Bringt das etwas?

Die Antworten darauf könnten in dem Buch stehen, in dem der sterbende Stoner am Ende noch einmal blättert. Er hat es einst selbst geschrieben. Ein einmaliger Versuch, sein Leben in den Griff zu bekommen. Er aber vermag nicht mehr zu lesen, was darin geschrieben steht: "Die Finger lockerten den Griff, und das Buch, das sie gehalten hatten, rutschte langsam und dann immer rascher über den reglosen Leib und fiel in die Stille des Zimmers." Von draußen scheint die Sonne auf die Seiten. Dann wird es Nacht. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 16.1.2014)