Hamburg - Das Wetter ist, über Jahrhunderte gesehen, so variabel, dass selbst Hitzewellen oder "Jahrhundertfluten" im Rauschen der Statistik untergehen. Fest steht: In den vergangenen hundert Jahren ist die weltweite Temperatur im Schnitt um 0,6 Grad Celsius gestiegen, 0,4 Grad davon seit den 70ern. Gestiegen sind vor allem nächtliche Tiefsttemperaturen - und zwar im Winter.

In Mitteleuropa ist es heute so warm wie zuletzt vor 200 Jahren, weltweit aber noch nicht wieder ganz so warm wie vor 1000 Jahren, als Grönland seinem Namen noch gerecht und grün war, in England der Weinanbau florierte.

Verblüffend: Geschwindigkeit des Temperaturanstiegs

Wirklich verblüffend ist jedoch die Geschwindigkeit des Temperaturanstiegs in den vergangenen 30 Jahren. Und daran scheiden sich auch die Geister, somit die Prognosen der Klimaforscher: "Derartiges hat es seit dem Ende der Eiszeit nicht gegeben", entsetzt sich etwa Meteorologe Mojib Latif vom Kieler Institut für Meereskunde. Seine These: Die Temperaturen steigen weiterhin dramatisch, eine Klimakatastrophe droht.

Nicht so apokalyptisch, aber dennoch mit unabsehbaren Folgen für Mensch und Natur die Prognosen anderer Klimaforscher für die nächsten 100 Jahre: Erwärmung um bis zu drei Grad, je nach ausgestoßener Menge an Treibhausgasen.

Noch nicht verstanden

Wie kommt es überhaupt zu unterschiedlichen Wetterprophezeiungen? Klimaforscher stützen ihre Prognosen auf Ergebnisse von Computermodellen, die die Wechselwirkungen von Atmosphäre, Landoberfläche, Ozeanen, Eisdecken und Vegetation berechnen. Die Schwierigkeiten: Über den Einfluss wesentlicher Klimafaktoren wie Sonne, Wolken, Staubteilchen in der Luft herrscht unter Forschern noch immer Uneinigkeit. Und zahlreiche Wechselwirkungen werden zum Teil noch gar nicht verstanden.

Völlig unklar ist etwa, wie sich die Menge von Wasserdampf verändert. Forscher nehmen an, dass künftig mehr Wasser verdunstet. Dadurch würde mehr Wasserdampf in die Atmosphäre gelangen. Die Folge: stärkerer Treibhauseffekt, steigende Temperaturen.

Damit die Atmosphäre aber mehr Wasserdampf aufnehmen kann, muss sich die Luft bis in etwa zehn Kilometer Höhe erwärmen. Satellitendaten indes zeigen, dass sich die höheren Luftschichten bisher nicht erwärmt haben - entgegen allen Prognosen. Bleibt dies so, fiele die globale Erwärmung viel, viel geringer aus, glaubt Atmosphärenforscher Guy Pierre Brasseur vom Max-Planck-Institut in Hamburg.

Auch Kohlendioxid allein hat keinen extremen Einfluss: Einige Forscher veranschlagen eine weltweite Erwärmung von einem Grad, wenn sich die Menge des Treibhausgases in der Atmosphäre verdoppelt - womit aber erst in 100 Jahren gerechnet wird.

Begrenzte Fähigkeiten

Weiteres Problem sind begrenzte Fähigkeiten der Supercomputer. Um die Rechenzeit nicht unendlich werden zu lassen, teilen Forscher die Atmosphäre in virtuelle Gittersegmente ein. Naturerscheinungen mit einer geringeren Ausdehnung als 250 Kilometer wie Wolken und Meeresströmungen fallen durch dieses Raster, gehen nur als ungefähre Pauschalwerte in die Klimarechnungen ein.

Ob all dieser Schwierigkeiten gibt es daher Forscher wie den deutschen Meteorologen Horst Mahlberg, die vor Dramatisierung warnen: Befürchtungen einer bevorstehenden Eiszeit in den kühlen 60ern hätten gezeigt, dass man von kurzfristigen Wetterereignissen nicht auf langfristige Klimaveränderungen schließen darf. Es ist jetzt halt heiß. (Axel Bojanowski/DER STANDARD, Printausgabe, 13.8.2003)