Foto: Katalog
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Am Boden oder zumindest in Bodennähe sitzt es sich besonders gut. Das hat man auch in unseren Breiten erkannt. Seitdem sich Bars zu Lounges wandelten und man sich dort auf niedrigeren Sitzgelegenheiten niederlassen kann, weht auch durch westliche Innenstädte wieder einmal ein Hauch von Orient. Ein Hauch wohlgemerkt, denn die niedrigen Sofalandschaften, die mittlerweile bis in unsere Wohnzimmer vorgedrungen sind, haben mit dem arabischen Matratzenlager - ihrem Vorbild - nur mehr wenig gemein. Im arabischen Raum ein Statussymbol (je mehr Kissen, Decken und bunte Matratzen, desto wohlhabender ihr Besitzer), in westlichen Gefilden ein schickes Designermöbel: Auf dem Weg durch die Kulturen passieren so manche produktiven Missverständnisse.

Gerade - so scheint es - wenn es sich um Adaptionen aus dem arabischen Raum handelt. So nahe der Kulturraum und so vielfältig die gegenseitigen Befruchtungen, so mager das Wissen voneinander. Beziehungsweise so groß die Verwirrung auf beiden Seiten. "Der Orient wurde zu dem, was der Westen in ihm sah", hatte der bekannte Orientalist Edward Said die komplizierte Geschichte von Kolonisierung und Autokolonisierung auf den Punkt gebracht. Oder in anderen Worten: Eigenes und Fremdes sind im arabischen Raum besonders gut durchmischt. Ja, nimmt man heute eine beliebige arabische Metropole, dann sind es schnöde, sich schnell überheizende Betonbauten, die den Blick bestimmen. Traditionelle Bauweisen, die den Erfahrungsschatz von Jahrtausenden in sich tragen, sind selbst am Land vielerorts rar.

Die Sehnsucht nach einem von Traditionen geprägten Orient, nach einer Einheit von Land und Kultur aber bleibt. Vor allem im Westen. Hier gibt es laut Spiegel derzeit einen regelrechten Orientboom, ein Bedürfnis einer verstärkten Auseinandersetzung mit arabischer Kunst und Kultur, dem nicht wenige Museen und Kultureinrichtungen Rechnung tragen. In Berlin ist es das Vitra Design Museum, das einen besonders intensiven Blick ins Morgenland wagt und traditionelle Wohnkulturen der arabischen Welt genauer unter die Lupe nimmt. Vor allem jene, die althergebrachte Formen bewahrt haben.

"Man glaubt, von der arabischen Welt viel zu wissen", sagt Mateo Kries, der junge Direktor des Berliner Museums am Prenzlauer Berg, "und muss sich dann doch eingestehen, dass man gerade vom Alltag sehr wenig weiß." Wie lebt man in einem Steinhaus im Bergjemen oder in einem nubischen Gewölbehaus? Welche Regeln bestimmen den Alltag, welchen Einfluss hat der Islam genau?

Es sind immer noch die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, die in vielen westlichen Köpfen herumspuken und das romantisierende Bild eines exotischen Orients nähren. Der Harem etwa, diese Projektionsfläche für alle Gelüste, die man bei sich zu Hause wohl kaum ausleben kann und sie deswegen am liebsten bei den "verruchten" Nachbarn ansiedelt. (In Barcelona ging übrigens gerade eine Ausstellung über "Haremsfantasien und die neuen Scheherazaden" zu Ende.) Dabei bedeutet das Wort "haram" Heiligtum und wird sowohl für die Kaaba in Mekka, dem wichtigsten Wallfahrtsort des Islam, als auch für die im Haus gleichberechtigte weibliche Sphäre, den Harem, verwendet. Die strengen Codes, die das Le- ben im fremden Kulturraum bestimmen, kennen wir meistens einfach nicht: ein nahrhafter Boden für Fehlinterpretationen.

Wenn Elias Canetti in seinem schönen Reiseband Die Stimmen von Marrakesch den Eintritt in ein marokkanisches Haus schildert, ist es wie ein Eintritt in eine vollkommen fremde Welt: "Man tritt in die Kühle des Hauses und macht das Tor hinter sich zu. Es ist dunkel, und für einen Augenblick sieht man nichts. Man ist wie einer der Blinden auf den Plätzen und Gassen, die man verlassen hat." Ein ganz eigenes, oftmals nur durch eine Reihe von Türen und Gängen betretbares Reich öffnet sich hier dem Besucher, mit strengen Verhaltensvorschriften und strikten Geschlechtergrenzen. Das Innere des Hauses ist

geheiligter Rückzugsort der Familie, das spärlich möbliert und oftmals mit reichem Dekor verziert ist. Hier ist das Domizil der Frau, die in ihrem Haus das Sagen hat. Der Mann darf außerhalb des Hauses bestimmen. Die Häuser der Kabylen von Algerien und Marokko bestehen etwa fast immer aus zwei Teilen, einem größeren für die Familie und einem kleineren fürs Vieh und das Nachtlager. Der größere Teil ist in einen Bereich für Frauen und in einen für Männer unterteilt. Kommt ein Gast - die Gastfreundschaft ist wie im gesamten arabischen Raum außerordentlich großzügig -, erhält er im weiblichen Teil des Raumes einen Ehrenplatz. Der Hausherr nimmt den dunklen, minderen Platz neben dem Eingang ein.

Der Bogen, den man im Vitra Design Museum spannt, reicht vom Persischen Golf über Ägypten und Algerien bis nach Mauretanien. Die geografische Vielfalt an baulichen Besonderheiten korrespondiert mit der Vielfalt der Dekorationen. Das berühmte Dekor im mauretanischen Oualatas mit seinen geschwungenen, kleinteiligen Formen (Weiß auf rotem Lehmputz außen und Rot auf weißem Putz innen) sticht dabei genauso hervor wie die farbenprächtigen Lehmschichthäuser im saudischen Asir. Seit der Verwendung synthetischer Farben leuchten diese noch stärker.

"Der Abschirmung des Wohnraums nach außen entspricht die Entfaltung nach innen", sagt Kries, der selbst lange im arabischen Raum lebte und daher auch bestens um die Bedrohung der ausgestellten Wohnkulturen weiß. Nicht nur jener der Nomaden, denen in Berlin besonders viel Raum eingeräumt wird. Die Moderne - dabei ist zumeist ein Abklatsch der westlichen gemeint - hat natürlich auch dem arabischen Raum ihre vielfältigen Spuren eingeprägt. Westliche Wohnzimmer befinden sich in vielen Wohnungen neben durchaus traditionellen Salons mit umlaufenden Sofas. Die Liebe zur Dekoration findet in Wandarrangements aus Postkarten oder Wanduhren ihre Entsprechung. Selbst Ikea hat es bereits in den Orient geschafft: unter dem Namen Kitea.

Natürlich gibt es auch positive Beispiele, wie sich Tradition und Moderne in den heutigen arabischen Wohnformen befruchten können: Architekten wie Hassan Fathy, Pierre Khoury oder Elie Mouyal zeugen davon. Sie haben erkannt, wie kompatibel Tradition und Moderne sind. "In der Kasbah von Algier", sagte Le Corbusier, "ist alles vorhanden: alle Elemente einer Architektur, die unendlich sensibel für die menschlichen Bedürfnisse und Wünsche ist." Man muss sich nur ihrer bedienen. (DerStandard/rondo/14/08/03)