Foto: grüne tirol

daStandard.at: Warum haben Sie sich entschieden bei den Grünen mitzumachen?

Ahmet Demir: Also grün gewählt hab ich schon immer, aber politisch aktiv geworden bin ich erst nach meinem Studium und einigen Jahren Berufserfahrung. Denn erst diese Erfahrungen im sozialen Bereich haben mir gezeigt, dass es wichtig ist, hier auch politisch anzusetzen. 2009 bin ich dann zu den Grünen gekommen,  2010 in den Gemeinderat eingezogen und seit der Tiroler Landtagswahl im April 2013 bin ich  Landtagsabgeordneter.

daStandard.at: Sie sind der erste türkeistämmige Tiroler Landtagsabgeordnete geworden. Mit Alev Korun und Berivan Aslan haben die Grünen wiederum zwei Türkeistämmige im Parlament. Was machen die Grünen anders?

Demir: Bei uns Grünen geht es um Inhalte, egal wo man herkommt. Ich habe mich damals klar für soziale Themen ausgesprochen und bin dafür gewählt worden. Berivan [Aslan, Anm.] etwa kam ja als Quereinsteigerin zu den Grünen, hat damals gesagt, sie wolle sich stärker um Frauen und auch migrantische Frauen kümmern und konnte sich mit ihrem Programm etwa gegen die ehemalige ÖH-Vorsitzende Sigi Maurer durchsetzen.

daStandard.at: Integrationspolitisch ist Tirol allerdings ein heißes Pflaster. Sie sind vom Landtagspräsidenten Van Staa gerügt worden, weil sie  einen türkischen Satz im Landtag zitiert hatten. Auch die Tiroler Nationalrätin Aslan wurde von einer lokalen Bürgermeisterin gerügt, weil sie auf einer Veranstaltung Türkisch gesprochen hat.

Demir: Prinzipiell ist zu sagen, dass auf der menschlichen und zwischenmenschlichen Ebene viel Nachholbedarf besteht. Der Widerstand gegen gewisse Entwicklungen, die ja sogar sehr verspätet gekommen sind, wie etwa die aktive politische Rolle von MigrantInnen, löst in Tirol offenbar stärkere Reaktionen hervor, als gedacht.

Zu meiner "Türkisch-Affäre" im Landtag will ich sagen, dass ich einen Satz auf Türkisch zitiert hatte, den ich ja eh gleich übersetzen wollte, mir aber keine Möglichkeit mehr gegeben worden ist, dies zu tun. Da waren die Reaktionen sehr energisch.

daStandard.at: Kurz vor Weihnachten kam das Gerücht auf, "islamistische Mitbürger" hätten einen Supermarkt-Nikolo in Kufstein angegriffen. Dieses Gerücht wurde auch von FPÖ-Mandataren fleißig in sozialen Netzwerken geteilt, es stellte sich allerdings als Unwahrheit heraus.

Demir: Tja, das war ein Beispiel dafür, wie unreflektiert und aufgeladen derlei Dinge ablaufen. Ich habe ja die Beiträge auf Facebook selber gelesen und habe mich sehr gewundert, dass niemand zunächst einmal gefragt hat, ob diese Geschichte überhaupt stimmt und wer der Urheber der Anschuldigung war.

Gerade in Kufstein gab es etwa vor zwei Jahren einen Brandanschlag auf einen türkischen Moscheeverein. Dieses Thema etwa, also als es konkret um Menschenleben ging, hat man versucht totzuschweigen.

daStandard.at: Was kann eigentlich die Landespolitik tun, um solche Hetzkampagnen zu unterbinden?

Demir: Man muss es auf die Essenz runterbrechen. Im besagten Fall geht es um Rassismus, nicht ums Christkind. In Tirol etwa gibt’s keine Anlaufstelle für alltägliche Fälle von Rassismus und Diskriminierung. Daher gibt es auch keine konkreten Statistiken dazu und was statistisch nicht erfasst wird, ist für die Politik quasi inexistent. Da müsste man ansetzen. Das würde ich mir auch zeitnah für Tirol wünschen.

daStandard.at: Sie sind ja der bildungspolitische Sprecher der Grünen im Landtag. Können sie erklären, warum viele türkeistämmige Kandidaten bei den letzten Nationalratswahlen alle möglichen Themen angesprochen hatten, dieses für Migranten wichtige Thema aber außen vor ließen?

Demir: Ich erkläre mir das so: Viele migrantische Kandidaten werden leider auf aussichtslose Listenplätze gesetzt und sollen dort Stimmen für ihre Parteien holen. Diese Kandidaten müssen dann Aufmerksamkeit erregen und greifen dann etwa auf Türkei-politische Themen zurück oder arrangieren sich hier in Österreich mit religiösen Verbänden oder anderen Interessensgruppierungen. Manche Kandidaten sind dann so weit gegangen, dass man eigentlich nicht gesehen bzw. verstanden hat, warum sie für den österreichischen  Nationalrat kandidieren, weil ihre Themen einfach Österreich nichts mehr zu tun hatten.

daStandard.at: Apropos Verbände: Wie finden sie es, wenn Verbände quasi "ihre" Kandidaten für Wahlen aufstellen?

Demir: Auf der einen Seite machen Vereine und Verbände positive Dinge, wie etwa im sozialen Bereich. Auf der anderen Seite stehen aber klare weltanschauliche oder politische Haltungen hinter den Vereinen und Verbänden, was sich dann eben auch auf die österreichische Politik übertragen würde. Egal ob jetzt auf Gemeindeebene oder Nationalratsebene.

daStandard.at: Wieso sind, Ihrer Meinung nach,  die türkischstämmigen Migranten so stark in Verbänden organisiert?  

Demir: In der österreichischen Gesellschaft herrscht nach wie vor das Bild einer homogenen, türkischen Community, die es so ja nicht gibt. Menschen, die sich von der der österreichischen Gesellschaft nicht aufgenommen fühlen oder wirklich abgelehnt werden, finden sich eben oft in den unterschiedlichen Vereinen und Verbänden wieder. Diese Verbände übernehmen dann in Fragen wie Wohnungs- oder Arbeitssuche, die Aufgaben, die ja eigentlich Ämter und Gemeinden innehaben. Ich sehe das Ganze also eher kritisch, auch weil etwa alle Kandidaten das Recht haben müssen, in Vereinen oder Verbänden für sich zu werben, wenn sie dies tun wollen. Im Zuge des Nationalratswahlkampfes haben wir erlebt, dass quasi verbandsnahe Kandidaten mir vorgezogen worden sind. Die Menschen in der Community sollten nicht darauf schauen, ob ich Kurde, Türke, Alevit, Sunnit, religiös oder sonst wie bin, sondern wofür ich politisch stehe und ob ich meine Versprechen ernst nehme. (Rusen Timur Aksak, 18.1.2014, daStandard.at)