Bild nicht mehr verfügbar.

Tastbücher sind heute nur eine von vielen Möglichkeiten, wie blinde Menschen lesen können.

Foto: Oliver Berg dpa

Innsbruck - Für die meisten Menschen ist es nicht mehr als ein leichtes, unregelmäßiges Kribbeln auf der Fingerkuppe, das blinden Menschen etwa die Geschichte von Pippi Langstrumpf erzählt. Das Kinderbuch liegt aufgeschlagen auf einem Tisch in der neuen Blindenbibliothek des Sonderpädagogischen Zentrums für blinde oder sehbehinderte Kinder. Für Westösterreich ist es die erste, bundesweit erst die zweite Bücherei dieser Art. Sogenannte Tastbücher, wie das über Pippi, sind zumeist große, schwere Bände, gefüllt mit festem Papier, auf das die Punkte des Braille-Alphabets geprägt wurden.

Mit den Fingern, das ist eine Möglichkeit, wie Blinde heute lesen können. Technologische Fortschritte und zahlreiche internationale Initiativen in den vergangenen Jahren haben das Spektrum an barrierefreier Information und deren Zugänglichkeit wesentlich erweitert: Software zur Herstellung von Hörbüchern, sprechende Gegenstände wie Uhren, Braille-Zeilen für Computer, die Entwicklung synthetischer Stimmen - all das ist längst nicht mehr bloß technisches Spielzeug für Randgruppen. Der Blinden- und Sehbehindertenverband in Tirol arbeitet mit etwa 1700 betroffenen Personen zusammen, davon sind mehr als tausend über 60 Jahre alt. Die demografische Entwicklung sorgt für eine stetig wachsende Zielgruppe für neue Instrumente zur Aufbereitung von Inhalten.

Grenzen der Barrierefreiheit

Trotz der Fortschritte gibt es noch einigen Verbesserungsbedarf. In Österreich sei es etwa gerade für ältere Menschen sehr schwierig, an finanzielle Unterstützung für teure Sehbehelfe und Technik zu kommen: "Für ein Ansuchen sind meist vier bis fünf verschiedene Kostenträger und damit Sachbearbeiter zuständig. Es gibt staatliche Zuschüsse, aber davor muss man einen Verwaltungswahnsinn durchlaufen", sagt Wolfgang Berndorfer, Berater für Blinde und Sehbehinderte im Tiroler Blindenverband.

Auch was die Zugänglichkeit betrifft, stoßen viele Betroffene schnell an Grenzen. Etwa sieben Prozent aller Bücher sind derzeit barrierefrei erhältlich - vor allem zeitgenössische Literatur und Fachlektüre ist rar. Und dann ist da noch das Internet. "Eigentlich ideal für Blinde", sagt Berndorfer, doch barrierefreies Webdesign sei noch lange nicht überall angekommen: "Jeder Betroffene könnte wegen nicht bedienbarer Seiten ein Verfahren nach dem Gleichstellungsgesetz einleiten, aber das tun leider die wenigsten."

Kein Unterschied auf ersten Blick

In der neuen Blindenbibliothek in Innsbruck wurde natürlich an alles gedacht, was Sehgeschädigten die Informationsbeschaffung erleichtert. Dennoch lässt sie sich nicht sofort von anderen Bibliotheken unterscheiden: wandhohe Bücherregale, der holzig mürbe Geruch von Papier. Rund 1500 Blinden- und Tastbücher sowie zahlreiche E-Books, Hörbücher und Bücher in Großdruck stehen dort nun zur Ausleihe bereit - durch die angeschlossene Schule aber vor allem Kinder- und Jugendliteratur und Lehrmaterial.

"Wir arbeiten mit Kindle genauso wie mit Tastbüchern und selbstgebastelten Lehrunterlagen", sagt Direktorin Karin Pammer. "Denn sogar Sehgeschädigte mit gleichen Diagnosen können völlig unterschiedliche Bedürfnisse haben." Die Technik lasse die Grenzen dennoch verschwimmen, hat Wolfgang Berndorfer erlebt: Mit einem Freund kommuniziere er nur übers Internet - erst nach vielen Unterhaltungen bemerkte er, dass dieser eigentlich taubblind ist. (Katharina Mittelstaedt, DER STANDARD, 21.1.2014)