Bild nicht mehr verfügbar.

Politkowskaja wurde 2006 in ihrem Wohnhaus erschossen.

Foto: AP Photo/Misha Japaridze

Gut sieben Jahre nach dem Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja hat dieser Tage der dritte Prozess gegen die mutmaßlichen fünf Täter begonnen. Bisher ist die Staatsanwaltschaft gescheitert, auch aufgrund eigener Nachlässigkeit. Im jetzigen Prozess haben sich die Behörden eine neue Strategie zurechtgelegt: Sie setzen die Verteidigung unter Druck.

Einen Tag vor der Auswahl der Jury filzte ein Polizeikommando die Wohnung von Anwalt Murad Mussajew wegen versuchter Geschworenenbeeinflussung in einem anderen Fall. In seiner Abwesenheit "fanden" die Ermittler eine Pistole. "Es ist völlig offensichtlich, dass sie die Provokation mit der Pistole vorbereitet und in schlechtester Genre-Tradition abgearbeitet haben", kommentierte Mussajew die Aktion.

Mussajew hat den Staatsanwalt bisher viele Nerven gekostet. Im ersten Prozess erreichte er einen Freispruch vor einem Geschworenengericht, dem die von der Anklage präsentierten Beweise unzureichend schienen. Der zweite Prozess zog sich in die Länge und musste abgebrochen werden, nachdem sich mehrere Geschworene aus der Jury verabschiedet hatten. Hinweise auf die Hintermänner gibt es weiter keine.

Der einzig bisher Verurteilte, ein Geheimdienstoffizier, wurde in einem Sonderverfahren abgeurteilt und konnte bisher von den Nebenklägern, der Familie Politkowskajas, nicht befragt werden. Auch im neuen Prozess will der Staatsanwalt nur seine Aussagen verlesen lassen.

Überfälle auf Journalisten bleiben in Russland oft unaufgeklärt. Bis heute ist unbekannt, wer den Umweltjournalisten Michail Beketow (November 2008) oder den politischen Korrespondenten Oleg Kaschin (Oktober 2010) halbtot geprügelt hat. Beketow ist im vergangenen Jahr an den Spätfolgen des Angriffs gestorben.

Laut Reporter ohne Grenzen kamen 2013 zwei Journalisten in Russland ums Leben. Viele Übergriffe und Rechtsverletzungen gegenüber Medienvertretern werden nicht mehr registriert, nachdem das "Zentrum für Journalismus in Extremsituationen" schließen musste. Stattdessen wurden im gleichen Zeitraum die Gesetze für Journalisten verschärft.

Die Duma hat Verleumdung von einer Ordnungswidrigkeit gerade erst wieder zur Straftat hochgestuft, schwarze Listen im Internet eingeführt und die "Schwulen-Propaganda" unter Strafe gestellt. Bei der Neuordnung der Medienlandschaft liegt die Priorität des russischen Gesetzgebers augenscheinlich nicht bei der Sicherheit der Journalisten. (André Ballin aus Moskau, DER STANDARD, 22.1.2014)