Trotz Sanierung scheint die Zeit in der Linzer Tabakfabrik...

Foto: Dietmar Tollerian / Archipicture

... stehengeblieben zu sein. Der bauliche Eingriff beschränkt sich ...

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... auf eine zarte gläserne Klimabox.

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Der Laminatboden hat Brüche und Risse. Der Lack ist stellenweise abgeblättert. Und die braunen Fliesen an der Wand sind an einigen Stellen abgeschlagen wie ein bereits leicht in Mitleidenschaft gezogenes Gebiss. Alles hier scheint ein bisschen anpatiniert, um nicht zu sagen "abgefuckt", wie dies die jungen, hier erst seit wenigen Wochen ansässigen Mieter ausdrücken. Die Sanierung eines historischen, wohlgemerkt denkmalgeschützten Gebäudes, man kann es nicht leugnen, stellt man sich in unseren Breitengraden dann doch etwas durchgreifender vor.

"Das ist Absicht, alles pure Absicht", meint Andreas Kleboth, einer der drei Chefs des Linzer Architekturbüros Kleboth Lindinger Dollnig, das sich nun selbst in einem der Geschoße niedergelassen hat. "Das ist ein Bau von einer unbeschreiblich hohen Qualität. Und wo schon so ein starker Geist durch das Stiegenhaus fegt, muss man nicht auch noch ein neues, fremdes Konzept drüberstülpen. Das hätte die Architektur nur kaputtgemacht." Vielmehr habe man das Flair dieses einzigartigen Gebäudes stärken und die Bausubstanz in die Gegenwart hinüberretten wollen.

8000 Zigaretten pro Minute

Die Rede ist von der Tabakfabrik Linz, errichtet in den Jahren 1929 bis 1935. Architekt und Baumeister dieses Glanzstücks der Moderne ist niemand Geringerer als Peter Behrens, der sich mit dem Bau der AEG-Turbinenhalle in Berlin einen Namen gemacht hatte und sich hier, gemeinsam mit seinem Kollegen Alexander Popp, ein letztes Mal zu einem großen, umfassenden Wurf durchringen konnte.

75 Jahre lang wurden hier bis zu 8000 Zigaretten pro Minute gefertigt. Zu Spitzenzeiten saßen mehr als tausend Mitarbeiterinnen an jenen Maschinen, die so salbungsvolle Namen wie "Highspeed" und "Futura" trugen. Mit ihrer Hilfe gelang es, in der Austria Tabak AG in guten Jahren bis zu sechs Prozent des österreichischen Steuereinkommens zu erwirtschaften. Das ist lange her. Am 25. September 2009 wurde hier der letzte Tschick gerollt. Kurz darauf wurde das Gelände an die Stadt Linz veräußert.

Altes darf alt bleiben

Nun, vier Jahre nach Schließung der "Tschickbude", wie die Linzer ihr teils geliebtes, teils verhasstes Zigarettenwerk im Volksmund nennen, soll die 80.000 Quadratmeter große Immobilie nach und nach revitalisiert werden. Bauteil 2, das Haus mit dem altmodischen, leicht angegammelten "Dames"-Schriftzug an der Fassade, ist der erste Gebäudeteil der historischen Produktionsstätte, den die Stadt Linz soeben fertiggestellt hat. Die Sanierungskosten belaufen sich auf fünf Millionen Euro. Kommenden Donnerstag, den 30. Jänner, werden die Architekten das Haus feierlich eröffnen.

"Die Tabakfabrik hat enorme Potenziale für diese Stadt, und wir haben mit diesem Areal noch Großes vor", sagt Chris Müller, künstlerischer Leiter und Direktor der Tabakfabrik Linz Entwicklungs- und Betriebsgesellschaft mbH, die sich nun um eine adäquate Nachnutzung dieses fast gänzlich verwaisten Riesengrundstücks bemüht. "Einige Betriebe, größtenteils Zwischennutzungen mit befristeten Mietverträgen, konnten wir bereits erfolgreich anlocken. Mit der Sanierung von Bauteil 2 haben wir nun einen ersten Schritt in Richtung langfristiger Zukunft gemacht." Geht es nach Müller und Kollegen, soll die Tabakfabrik künftig ein Hotspot der Kreativwirtschaft werden, eine Art Denkfabrik für Kunst, Kultur und Produktion.

Farbton "Linzer Blau"

Tür auf. Die Patina am Türgriff ist nicht zu übersehen. Die charakteristische Farbe an der Tür ist eine eigens angefertigte Mischung des Meisters Behrens höchstpersönlich und nennt sich "Linzer Blau". Allein, die optischen Überraschungen nach der Sanierung halten sich in Grenzen. Bis auf eine barrierefreie Rampe auf der Hofseite und eine neue Verglasung im Foyer scheint die Zeit in Bauteil 2 stehengeblieben zu sein. Alles wie gehabt. Spannende Kontraste zwischen Alt und Neu, wie sie heute an der Tagesordnung des österreichischen Sanierungsverständnisses sind, sucht man hier vergeblich.

"Wie gesagt", setzt Architekt Kleboth fort, "wir wollten den Charme erhalten und die alten Räume spürbar und erlebbar machen." Rettungsmission gelungen. Lediglich bei den Mietflächen - 600 Quadratmeter pro Geschoß - musste aus bauphysikalischen Gründen etwas nachgeholfen werden. Der Eingriff, der in Abstimmung mit dem Bundesdenkmalamt erfolgte, zeugt von höchster Sorgfalt und konzeptioneller Eleganz.

Kleboth Lindinger Dollnig haben in den Geschoßen ein sogenanntes Plug-in-System installiert, eine Art Raum in Raum. Um die alte, denkmalgeschützte und bauphysikalisch horrende Fassade zu schützen, wurde in einem Abstand von rund 50 Zentimetern eine neue Glashaut in den Raum gestellt. An einigen Stellen weitet sich der schmale Korridor, der zugleich als Luftpuffer und somit wie bei einem Mehrscheibenfenster als Wärmedämmebene dient, und macht Platz für einen kleinen Wintergarten, für einen Schaukelstuhl oder für einen Wuzler für ein paar Tore zum Abreagieren in der Mittagspause.

"Ha! Die Auflösung der Ecke!"

Von der Straße aus betrachtet, ist der architektonische Eingriff kaum zu sehen. Lediglich im Bereich der abgerundeten Glasecken funkeln ab und zu neugierig machende Lichtreflexionen in die Nacht hinaus. "Ha! Peter Behrens und die Auflösung der Ecke!", sagt Andreas Kleboth mit einer gewissen Genugtuung in seiner Stimme. Grinst und schweigt. Im neuen Doppelboden übrigens, der um 30 Zentimeter angehoben ist, verlaufen sämtliche Installationen wie Strom und Lüftung.

"Die Art der Sanierung ist eine sehr behutsame Methode", erklärt Chris Müller, während er erzählt, wie in diesen Etagen früher Pfeifentabak getrocknet, geschnitten und verpackt wurde. Heute finden sich hier Architekturbüro, Immobilienkanzlei, Werbeagentur, Büromöbelausstatter und ein zweigeschoßiges Co-Working-Space, in dem sich nach Moderne dürstende Stadtnomaden stunden- und tageweise einmieten können. Müller: "Zunächst einmal möchten wir das Projekt evaluieren, aber ich denke, dass sich die Revitalisierung der restlichen Tabakfabrik an dieser Methode orientieren könnte."

Neue Facetten

Die Chancen, den derzeit noch weißen Fleck auf der Linzer Landkarte wieder in die Stadt zu integrieren, seien groß, meint Architekt Kleboth, der die alte Tschickbude längst in sein Herz geschlossen hat. "Die Tabakfabrik ist eine Möglichkeit, Linz mit der Ansiedelung von Kunst, Handwerk und Kreativindustrie eine neue Facette zu geben. Ich jedenfalls bin von diesem Projekt überzeugt."

Die Überzeugung sitzt tief: Nachdem Kleboth, seines Zeichens Initiator und Impulsgeber für die Sanierung des Bauteils 2, das Projekt um jeden Preis selbst realisieren wollte, musste er dem Österreichischen Bundesvergabegesetz ein paar Euro entgegenkommen. Um eine öffentliche Ausschreibung zu vermeiden, bot er seine Planungsleistungen unter der Direktvergabegrenze von 100.000 Euro an. Kleboth: "Wirtschaftlich betrachtet, war dieses Projekt für uns ein absolutes Verlustgeschäft. Kulturell betrachtet jedoch ein voller Gewinn." (Wojciech Czaja, DER STANDARD, 25.1.2014)