Die Verwandten von Stjepan Crnogorac hoffen nun, dass sie doch irgendwann das Grab des Ermordeten finden können. Und das 42 Jahre nach der Tat. Der slowenische Forscher Roman Leljak hat drei Personen, die heute in Slowenien leben, bei der Salzburger Staatsanwaltschaft wegen des Mords an Crnogorac im Jahr 1972 angezeigt. Er glaubt, dass Silvo Gorenc, der damalige Leiter des jugoslawischen Staatssicherheitsdienstes Udba in Slowenien, sein Vize Boris Mužič und der Sekretär für Innen-Angelegenheiten, Marjan Orožen für die Tat verantwortlich gemacht werden können. Die Aktion soll „Duet“ und „Pero“ geheißen haben.

Drei Mitarbeiter der Udba sollen demnach am 3. Juli 1972 zur Wohnung von Crnogorac in Salzburg gekommen sein und sich als österreichische Polizisten ausgegeben haben. Danach hätten sie Crnogorac gefesselt, in ein Auto gepackt und nach Slowenien gebracht haben. Sie besorgten für Crnogorac einen jugoslawischen Pass, der auf den Namen Marko Golac ausgestellt war. An der österreichisch-jugoslawischen Grenze sollen sie ihn betäubt haben, was er selbst bei einem Verhör in Slowenien später angab. Die Entführer sollen dafür 20.000 Dollar bekommen haben. Kurz nach dem Verhör soll er liquidiert worden sein. Leljak hat kürzlich 200 Seiten der Protokolle mit Crnogorac im slowenischen Staatsarchiv gefunden. Er führt auch die Namen von 27 Udba-Mitarbeitern an, die damals auf österreichischem Territorium aktiv gewesen sein sollen.

Laut Leljak wurde Crnogorac verdächtigt, mit der kroatischen Opposition, die sich im Ausland befand zu kooperieren. 1971 war das Jahr des kroatischen Frühlings, in dem viele Oppositionellen im Gefängnis landeten. Tatsächlich studierte Crnogorac in Salzburg Philosophie und spielte in einer Band. Laut Jutarnji List wurde ihm vorgeworfen, mit Vilim Cecelja in Kontakt gewesen zu sein. Der Ustascha Cecelja ließ sich nach seiner Internierung in dem Nazi-Verdächtigen-Lager Glasenbach in Salzburg nieder und galt dort als Anlaufstelle für Exil-Kroaten. Cecelja soll zudem der Beichtvater des kroatischen Diktators Ante Pavelić gewesen sein, der während des Zweiten Weltkriegs den NDH-Marionetten-Staat der Nazis führte.

Die Udba-Morde gehören zu einem der dunkelsten Kapitel Jugoslawiens. Sie stellen das Narrativ vom relativ freien Vielvölkerstaat infrage, der als weniger repressiv galt, als andere Staaten im kommunistischen Osteuropa. Tatsächlich gab es in Jugoslawien aber ein enges und dichtes Netz des Geheimdienstes Udba, in dem Zehntausende Staatsbürger mitarbeiteten. Die Udba arbeitete mit Drohungen und Erpressungen. Laut Leljak war jeder 15. Bürger Jugoslawiens im Dienste der Udba, in Slowenien waren dies 54.000 Personen, in Kroatien 75.000. Die Udba hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Organisationen jugoslawischer Bürger im Ausland zu infiltrieren und zu kontrollieren. Insbesondere die nationalistisch gesinnte kroatische Diaspora, die zum Teil aus Ustascha-Kreisen hervorging, wurde zum Ziel der Spionage-Tätigkeiten. Die Udba-Morde sagen demnach auch viel über den Organisationsgrad dieser Exil-Kroaten und die Angst der jugoslawischen Nomenklatura vor deren Einfluss, aus.

Bereits 1960 soll das dreijährige Mädchen Dinka Domačinović in Buenos Aires einem Bombenanschlag der Udba zum Opfer gefallen sein. 1965 soll Geza Pašti in Nizza entführt und ermordet worden sein. Die Udba operierte auch in Australien. 1968 wurde Pero Čović in Sydney ermordet. Ivo Bogdan wurde 1971 in Buenos Aires ermordet, Jozo Oreč 1977 in Johannesburg. Einige Morde in Italien sollen ebenfalls auf das Konto der Udba gehen. Bekannt wurde auch der Mord an Bruno Bušić 1978 in Paris. Auch Bušic gehörte dem „Kroatischen Frühling“ an. Die meisten Morde verübte die Udba allerdings in Deutschland, denn hier hatten sich nationalistische Exil-Kroaten ein gutes Netzwerk aufgebaut. 1983 lebten etwa 630.000 Jugoslawen in Deutschland, von denen etwa 15.000 Personen der politischen Emigration zuzurechnen waren. Zwischen 1970 und 1989 sollen allein in Deutschland 22 Kroaten von der Udba ermordet worden sein.

In der Udba gab es neun Abteilungen. Die Abteilung II befasste sich mit „feindlicher Emigration“. Man versuchte „gefährliche Emigranten“ zu „passivieren“ – wie es im Fachjargon heißt. „Die Palette der „Passivierung" reichte von Desinformations- und Rufmordkampagnen bis hin zur Liquidierung von missliebigen Personen“, heisst es in einem Urteil des Oberlandesgerichts München aus dem Jahr 2008. Der offizielle Sicherheitsdienst hatte demnach keine Macht, Liquidierungen anzuordnen. „Bis zum Tod von Tito, traf allein dieser entsprechende Verfügungen. Nach dessen Tod im Jahr 1980 (...) ausschließlich politische Entscheidungsträger“, so das Münchner Gericht.

Laut dem Absatz 1 des Artikels 39 des „Grundgesetzes über die inneren Angelegenheiten" Jugoslawiens von 1966 hatte der Staatsicherheitsdienst die Aufgabe, „die organisierte und geheime Tätigkeit zu entdecken, die die Unterhöhlung oder Beseitigung der durch die Verfassung bestimmten Ordnung zum Ziele hat“. Der Artikel 92 des Strafgesetzbuches erlaubte staatliche Verfolgungsmaßnahmen gegen politische Gegner, unabhängig von deren Staatsbürgerschaft oder dem Ort ihrer „antijugoslawischen“ Tätigkeit. Agenten konnten im Ausland operieren, sie waren oft Mitarbeiter von Konsulaten, Hotels und Reiseagenturen, aber auch von Organisationen der Exil-Jugoslawen. In Österreich soll laut Jutarnji List Salzburg ein wichtiges Zentrum der kroatischen Emigration gewesen sein. Wegen der Nähe zu Österreich, war aber hier nicht die kroatische, sondern die slowenische Udba zuständig.

Bekannt wurde etwa der Mord an Nikola Martinovič in Kärnten. Der ehemalige Offizier verkaufte in der Nähe von Klagenfurt Blumen und Gartengeräte. Martinovič organisierte aber auch Gedenkfeiern für das Massaker jugoslawischer Einheiten gegen Kroaten 1945 in Bleiburg. Am 17. Februar 1975 wurde Martinovič in seinem Laden erschossen. Leljak macht dafür Janez Zemljarič verantwortlich, der heute in Ljubljana lebt. Zemljarič war von 1980 bis 1984 slowenischer Regierungschef und von 1984 bis1989 stellvertretender Ministerpräsident Jugoslawiens. Er reagierte bereits auf die Vorwürfe: „Derjenige, der von mir eine Erklärung zur Ermordung der Ustascha fordert, soll sich lieber vorstellen und erklären, für wen und weshalb er diese Geschichte jetzt braucht", sagte er der slowenischen Nachrichtenagentur STA. Leljak selbst, der die Vorwürfe aufbrachte, war übrigens bis 1987 für die Jugoslawische Volksarmee (JNA) tätig, dann verschrieb er sich der Aufgabe, die Machenschaften der Udba aufzuklären.

Ein besonderer Fall ist jener von Stjepan Djureković, der ermordet wurde, weil er einfach zu viel wusste, wie das Oberlandesgericht München 2008 in seinem Urteil gegen Krunoslav P. feststellte. Djureković galt für die Udba nicht so sehr wegen seiner kroatisch-nationalistischen Gesinnung, sondern wegen seiner Kenntnis der Korruption innerhalb der Mineralölgesellschaft Ina als Gefahr. Djureković war dort für die Devisenbeschaffung zuständig. Der Direktor der Abteilung für Außenhandel in der Ina, war damals Vanja Špiljak, der ein Kick-back-System einführte, indem er zu überteuertem Preis Öl kaufte und sich dann bereicherte. Auch Djureković profitiere ein wenig von diesem Korruptionssystem. Allerdings hatte er nicht einen derart bedeutenden Verwandten wie Špiljak, dessen Vater im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei saß und im jugoslawischen Staatspräsidium. Die illegalen Geschäfte wurden ruchbar. 1982 begannen Ermittlungen. Vater Mika Špiljak sorgte sich, dass der Skandal auf ihn zurückfallen könnte. Laut dem Urteil des Gerichts in München, soll er deshalb die Ermordung von Djureković „bestellt“ haben, weil er Angst hatte, dass dieser auspacken könnte.

Der Auftrag soll von Udba-Chef Zdravko Mustač persönlich an seinen Untergebenen Josip Perković ergangen sein. Mustač sollte deshalb eigentlich auch nach Deutschland ausgeliefert werden, seine Vergehen werden aber in Kroatien als verjährt angesehen, wie ein Gericht erst vor wenigen Tagen urteilte. Allerdings könnte die Entscheidung des Höchstgerichts im Fall Perković die Auslieferung zu bestätigen, auch dazu führen, dass Mustač  ausgeliefert wird. Der Fall Perković selbst hatte in den vergangenen Monaten beinahe zu Sanktionen gegen den EU-Neuling Kroatien geführt, weil die Regierung in Zagreb versuchte mit rechtlichen Tricks die Auslieferung nach Deutschland und die Umsetzung des EU-Haftbefehls zu verhindern.

Perković war im Besitz von den Schlüsseln jener Garage, in der Djureković am 28. Juli 1983 ermordet wurde. Er soll Krunoslav P. selbst als Udba-Mitarbeiter angeheuert haben. Djureković wurde jedenfalls mit der Hilfe von Krunoslav P., bevor er ermordet wurde, zum „Staatsfeind“ stilisiert, um die „Liquidierung“ zu rechtfertigen. Djureković lebte da bereits in beständiger Angst, er ahnte, dass er zur Zielscheibe der Udba geworden war. Sein Sohn, Damir wurde übrigens nur wenige Jahre später, nämlich 1987, in Calgary in Kanada ermordet. Ebenfalls von der Udba.

Perković, dem nun in Deutschland der Prozess gemacht werden soll, führte von 1979 bis 1986 in Kroatien jene Abteilung II, die für die „feindliche Emigration“ zuständig war. Als Krunoslav P. 2008 verurteilt wurde, fühlte sich der mächtige Geheimdienstler, der unter Franjo Tudjman in den 1990er noch einmal eine steile Karriere machte, noch unantastbar und machte sich über die deutsche Justiz lustig. Gegenüber einem Zeugen äußerte er, dass er durch seine Verbindungen, den Versuch der Deutschen im Rechtshilfeweg an Erkenntnisse zu gelangen, im Keim ersticken würde.

Als er vom Gericht in München geladen wurde, schickte er ein Telegramm, dass er krank sei. Als sich dieses erkundigte, wann mit einer Gesundung zu rechnen sei, antwortete Perkovićs Anwalt zunächst wochenlang gar nicht. Auch das Rechtshilfeersuchen des Senats um richterliche Vernehmung des Zeugen in Zagreb selbst, wurde einfach nicht beantwortet. Mehrmals fragte die Deutsche Botschaft in Zagreb nach und betonte die Dringlichkeit der Sache. Während der Hauptverhandlung gegen Krunoslav P. zwischen dem13. Februar 2008 und dem 16. Juli 2008 reagierten die kroatischen Behörden auf Rechtshilfeersuchen seitens der deutschen Justiz überhaupt nicht, sondern hielten ihre schützende Hand über Perković.

Einer der zentralen Figuren im Prozess gegen Krunoslav P. 2008 war übrigens der Auftragsmörder Vinko Sindičić, in Jugoslawien auch „James Bond“ genannt. Er gab an, dass es jedenfalls bis Ende der 1980er Jahre Liquidierungsanordnungen in Jugoslawien gab. (Adelheid Wölfl, deRstandard.at, 24.1.2014)