Törtchen zum zehnten DLD-Geburtstag.

Foto: Burda Media/Flo Fetzer und Flo Hagana

Gleich in der ersten Runde des Jubiläums-DLD ging es zum Thema "European Competitiveness" heiß her, berichtet Martin W. Drexler. Er hörte unter anderem Peter Vesterbacka, dem wortgewaltigen "mighty eagle" von Rovio, zu, der gleich zu Beginn der Konferenz über den NSA-Skandal der USA sagte: "Schlechtes Marketing für die US-Unternehmen, aber das Beste, was Europa passieren konnte".

Auch das Lamento eines deutschen Panelteilnehmers, der sich beklagte, dass die wichtigsten fünf Technologieunternehmen, die das Web beherrschen, aus dem Silicon Valley kämen, wischte er mit einem selbstbewussten Argument vom Tisch: "Rovio ist die schnellst wachsende Brand der Welt. Und die kommt nicht aus den USA, sondern aus Europa."

Vesterbacka in Angry-Bird-Pulli: "Größter Videostreaminganbieter in Europa". Foto: Burda Media, Flo Fetzer und Flo Hagana
Foto: Burda Media/Flo Fetzer und Flo Hagana

Außerdem hatte Vesterbacka auch für die derzeitige US-Video-Streaming Überlegenheit durch Netflix eine smarte Lösung parat: "Unsere animierte Angry-Birds-Serie liegt bei 1,7 Milliarden Downloads. Damit sind wir ganz klar einer der größten Videostreaminganbieter in Europa. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum wir es nicht schaffen sollten, auch ein europäisches Netflix zu bauen." Vesterbacka in die Runde: "Ich finde die Lage lange nicht so schlimm, wie ihr sie darstellt. Einfach mal tun und weniger regulieren!"

Alles kann gehackt werden

Kritische Töne bezüglich der allumfassenden und für Geheimdienste transparenten digitalen Vernetztheit gab es auch von Rod Beckstrom, dem Sicherheitsspezialisten von Samsung. Als ehemaliger Chef des Internet-Dachverbands ICANN weiß er, dass nicht nur alles gehackt werden kann, sondern mit Strategien wie dem Stuxnet-Virus regelrecht Krieg geführt werden kann. Erinnern wir uns an das Thema der österreichischen Ars Electronica 1998: "Infowar. Information. Macht. Krieg". Trotz seriöser Aufklärer und Whistleblower, wie dem deutschen Chaos Computer Club oder durch die notwendige Enttarnung von Edward Snowden gibt es kaum eine Chance, das Tempo von NSA & Co. auf- beziehungsweise mit deren Machenschaften mitzuhalten.

Researchgate – ausnahmsweise kein Skandal

Dahinter verbirgt sich kein Skandal wie "Bridgegate" oder "Watergate", sondern eine Wissensplattform, die der junge Virologe Ijad Madisch im Jahr 2008 als GmbH in Hannover gegründet hat, weil er mit seiner Forschung einfach nicht mehr weiterkam und adäquate Hilfe im Netz suchte. Daraus entstand als logische Konsequenz "Researchgate".

Ziel dieser Wissensplattform ist es, Wissenschaftler ihre Arbeit präsentieren zu lassen, sich zu vernetzen und gegenseitig zu befruchten. Mit dem "Researchgate-Score" wird vom internen Netzwerk die jeweilige Forschung eines Mitglieds durch andere Nutzer bewertet und gemessen. "Dieser Score zeigt, wie die jeweilige Arbeit innerhalb des Netzwerks aufgenommen wird", sagt Madisch, "wobei ausschließlich Qualität zählt und nicht Quantität". Die Mitglieder bewerten die Beiträge untereinander, was den Wert des Scores in die Höhe treibt. Dies ist allerdings noch sehr umstritten, denn der junge "shooting star" der Berliner Startup-Szene hat in seinem eigenen Netzwerk eine deutlich höhere Bewertung als der derzeitige Medizin-Nobelpreisträger Randy Schekman. Ooops!

Daran kann noch deutlich gefeilt werden, gibt es ja immerhin jede Menge Venture Kapital, das David Mahoni von Microsoft-Gründer Bill Gates, der ihn kürzlich in Berlin besucht hatte, und von den US-Investors Accel Partners und Benchmark Capital eingesammelt hat. Bis jetzt haben sich bereits an die zwei Millionen Forscher angemeldet, wurden 1,2 Millionen Publikationen hochgeladen. Das Netzwerk gewinnt monatlich an die 10.000 Mitglieder – Tendenz steigend.

Quantenphysik aus Österreich

Anton Zeilinger, Experimentalphysiker an der Universität Wien, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Gastprofessor am M.I.T. und Vorreiter auf dem Gebiet der Quantenteleportation, erklärte im Rahmen des Panels "An Edge Conversation" wie Telportation funktioniert und was wir uns davon vorstellen können.

Eine klare Absage erteilt Zeilinger all jenen, die darauf hoffen, dass man wie bei "Star Trek" Personen von einem zum anderen Ort teleportieren könne. "Mit größeren Objekten funktioniert die Quantenteleportation einfach nicht. Denn je größer das System, desto anfälliger sei es gegenüber Störungen. Ein Mensch besteht aus unzählbar vielen Atomen, die man für eine Teleportation nicht auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen kann. Dies ist schlichtweg nicht möglich", sagt Zeilinger.

Cyber Money – die Zukunft?

Einer der spannendsten Panels war "Bitcoin: sans frontieres". "Ich bin nicht sicher, ob die Bank, in deren Haus wir uns mit der DLD Conference befinden, in ein paar Jahren noch existiert", beginnt Aaron König, der zufällig auch einmal das österreichische Wirtschaftssystem studiert hatte. Im Lauf der mehr als einstündigen Paneldiskussion mit anderen Bitcoin-Aficionados wurde klar, dass es keine Alternative zu einer globalen, übergeordneten Währung gibt. Diese scheint sogar eine logische Folge der Globalisierung zu sein.

Vor allem Johann Gevers von der Schweizer Monetas AG zeichnete in seiner beeindruckenden Rede ein für ihn völlig logisches Szenario: Es gibt, zumindest für ihn und die Cyber-Money-Befürworter, in Zukunft einfach keine Alternative zu einer übergeordneten dezentralen Cyber-Währung. Sein Vortrag ist sehens- und hörenswert.

Against Solutionism

Als "slightly controversial speaker for the DLD audience" wurde der Schriftstellers und Web-Kritiker Evgeny Morozov dem DLD-Publikum vorgestellt, der zur Zeit auch als Dozent an der Stanford-Universität in Palo Alto arbeitet. Seiner Rolle als "disruptive element" gerecht, prangerte er den so genannten "Solutionism" an, also den Glauben, dass alle Probleme dieser Welt mit einer App gelöst werden können. "Werft nicht eure Smartphones weg, sondern die Venture-Kapitalisten raus", forderte er die durchaus verblüfften DLD-Zuhörer auf. "Die Probleme liegen nicht in den Geräten, die Probleme sind eine Frage dessen, wer das Geld und die ökonomische Macht hat."

Morozov glaubt auch fest daran, dass der Trend, persönliche Daten als neue Form der Bezahlung für scheinbar kostenlose Angebote über die nächsten Jahre anhalten wird. In diesem Zeitraum okkupieren Konzerne wie Google oder Facebook das Geschäft von Banken und Versicherungen und dominieren deren Markt einfach deswegen schnell, weil sie einfach die besseren Daten hätten. Gerade Google sei auf dem besten Wege, eine "Hyper Insurance" zu werden, weil der Konzern von der Haushaltstechnik – siehe "Nest" – über Gesundheitsdaten, Urlaubsgewohnheiten bis zum Individualverkehr das gesamte Leben seiner lieben Versicherten überwachen könnte. Dieses Internet der Dinge sei nichts anderes als eine "Erweiterung der Kontrolle über unser Privatleben, wie wir es seit Jahren kennen".

Digitale Schleimspur

Als geniales i-Tüpferl am Ende der Geburtstags-DLD war die freie und geschliffen pointierte Rede "Toward a Transparent Society" von John Perry Barlow, dem ehemaligen Songschreiber der Band "Greatful Death", der nun als Co-Founder der "Electronic Frontier Foundation" als leidenschaftlicher Vertreter des Technoliberalismus die Unabhängigkeit des Cyberspace propagiert.

"Unsere digitale Schleimspur, die wir im Netz hinterlassen", wie er sich blumig ausdrückte, "führt dazu, dass einige Unternehmen inzwischen mehr über uns wissen als wir selbst. Das daraus resultierende Wissen führt zu einer Macht, die unglaublich gefährlich ist und für verschiedenste, uns noch unbekannte Zwecke, missbraucht werden kann". Barlow meinte auch, dass die US-Geheimdienste derzeit eigentlich nur im Sammeln von Daten gut seien und ansonsten eher mit Inkompetenz überraschen. Aber die Gefahr existiert, dass diese Geheimdienste irgendwann in der Lage sein werden, unsere gesammelten Daten entsprechend auszuwerten und für ihre Zwecke gegen uns einzusetzen. Laut Barlow wären diese Dienste dann in der Lage, ein totalitäres System zu erschaffen. Er selbst hat den Geheimdiensten bereits angeboten, dabei zu helfen, wie Information wirklich funktioniert und sich auch gleich glaubhaft geoutet: "I'm a suspect!"

Fazit

Auch in seinem zehnten Jahr hat sich die DLD-Konferenz zu einer der wichtigsten Wissenskonferenzen weltweit weiterentwickelt. Was Hubert Burda gemeinsam mit Steffi Czerny, Yossi Vardi und dem DLD-Team so konsequent wie kontinuierlich durchgezogen hat, hat seinem Unternehmen den nötigen Dreh für das digitale Zeitalter verpasst und den Standort München von dem ausschließlichen Sepplhosen- und Oktoberfest-Image befreit. Das seit 2005 gewachsene Netzwerk ist ein wichtiger Wissens-und Kommunikationspool. Esther Dyson, Grand Dame des Internet, Investorin, Beraterin und Mitimpulsgeberin bringt es auf den Punkt: "Going to DLD is really good for your career!"

Für Thomas Holzhuber von Holzhuber Impactions, einem der österreichischen Besucher neben Sofie Qidenus, Lukas Zinnagel (MedCrunch), Malte von Trotha (Styria) war die Konferenz "ein kreativer Urlaub für Hirn, Sinn, Herz und Seele". Buzz Maschinist Jeff Jarvis resümiert kurz: "The best ever conference in Europe." (Martin W. Drexler, derStandard.at, 26.1.2014)