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Auf dünnem Eis bewegt sich die niederländische Delegation, ­bestehend aus König Willem, Frau Maxima und Premier Mark Rutte, wenn sie ihre Teams bei den Olympischen Winterspielen anfeuert.

Foto: APA/EPA/ Van De Veen

Eigentlich kennt man ihn nicht anders: Sobald es bei Olympischen Spielen niederländische Sportler anzufeuern gibt, sitzt Willem Alexander auf der Tribüne und erweist sich als treuer Oranje-Fan. In Vancouver brüllte der damalige Kronprinz zusammen mit Gattin Maxima und den drei Kindern um die Wette, alle fünf von Kopf bis Fuß in Orange gekleidet. Und als Junggeselle 1996 in Atlanta vergaß er sogar völlig jegliche Etikette und sprang in kurzer Hose auf das Spielfeld, um mit den Damen der nationalen Hockeymannschaft einen Freudentanz aufzuführen. 

Auf den ersten Blick kein Wunder also, dass Willem Alexander auch in Sotschi bei der Eröffnungsfeier mit dabei sein möchte. Wie gehabt zusammen mit Maxima. Und dem niederländischen Premierminister Mark Rutte: "Es wäre doch verrückt, wenn er als ehemaliges IOC-Mitglied nicht gehen würde!"  so Rutte. "Besser können wir unseren Sportlern nicht zeigen, dass wir hinter ihnen stehen!"  

Bloß, inzwischen ist Willem Alexander nicht nur IOC-Ehrenmitglied, sondern seit April 2013 auch König der Niederlande. Und ein niederländisches Staatsoberhaupt hat Olympischen Spielen noch nie beigewohnt – noch nicht einmal 1928, als sie in Amsterdam stattfanden: Die damalige Königin Wilhelmina hatte Besseres zu tun. Sie reiste ab für einen Norwegen-Besuch. 

Warum also ausgerechnet jetzt? In ein Land, wo Homosexuelle unterdrückt und bedroht werden, unabhängige Journalisten mundtot gemacht und politische Gegner eingeschüchtert oder inhaftiert werden? Diese Frage stellt sich derzeit das ganze Land in Talkshows und an Stammtischen.

"Obama bleibt zu Hause, Merkel bleibt zu Hause, Cameron kommt nicht, Hollande kommt nicht – aber was machen wir? Wir gehen!" , zählt Abgeordneter Sjoerd Sjoerdsma von der linksliberalen Oppositionspartei D66 auf. Ruttes Koalitionspartner, die Sozialdemokraten, sind unglücklich über die Zusammenstellung der niederländischen Sotschi-Delegation. "Sie lässt sich nur schwer rechtfertigen!", findet selbst Ruttes Parteigenossin, EU-Kommissarin Neelie Kroes. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International haben Bedenken geäußert, Homo-Organisationen versuchen, mit einer Unterschriften-Protestaktion die Zusammenstellung der Delegation zu ändern. 

Auch eine Mehrheit der Wähler gibt in Umfragen an, dass zumindest Premier Rutte zu Hause bleiben sollte. Noch besser wäre es, finden viele, alleine Sportministerin Edith Schippers zusammen mit Außenminister Frans Timmermans nach Sotschi zu schicken. Warum müssen König und Ministerpräsident auch noch bei der großen Putin-Show mit dabei sein, während sich so viele andere Länder in Zurückhaltung üben? 

Das angesehene NRC Handelsblad glaubt, die Antwort gefunden zu haben: Die Tageszeitung spricht von einem Kuhhandel, mit dem internationale Greenpeace-Aktivisten wieder freigelassen wurden, die von den Russen im Herbst in der Arktis verhaftet wurden. Außerdem soll der hohe Besuch die etwas angespannte Beziehung zwischen Den Haag und Moskau verbessern.

Die Pressestelle der Regierung weist das alles als Spekulationen zurück. Von einem Deal, so betonte auch Rutte im Parlament, könne keine Rede sein. Der Gedanke, nicht nach Sotschi zu reisen, sei ihm nie gekommen.

An der Zusammenstellung der Delegation will er trotz aller Proteste nichts mehr ändern: "Wer zu Hause bleibt, macht sich zwar nicht die Finger schmutzig, bleibt aber mit leeren Händen zurück", argumentiert der Premier. Das sei ja gerade die Stärke der Niederländer: das Gleichgewicht zwischen Politik, Handel und Menschenrechten zu finden.

Und genau das, so versprach Rutte es den Abgeordneten, wolle er auch in Sotschi tun: Kontakt mit russischen Menschenrechtsorganisationen aufnehmen und Putin direkt ins Gewissen reden. Ein hehres Ziel – ob er es erreicht, bleibt abzuwarten. (Kerstin Schweighöfer aus Den Haag/DER STANDARD, 28.1.2014)