Björn Ulvaeus – Ex-Abba-Star – setzt sich schon seit langem für eine vollkommen bargeldlose Gesellschaft ein. Allem voran liegt ihm in dieser Sache seine Heimat Schweden am Herzen. Programmatisch heißt es im Abba-Museum in Stockholm: "Wir können und sollten die erste bargeldfreie Gesellschaft der Welt werden." Weit wäre im hohen Norden der Weg dorthin nicht, denn in Schweden verzichten ohnehin schon viele auf Cash-Zahlungen. Immer mehr Busse und Straßenbahnen nehmen zum Beispiel kein Bargeld mehr an – Fahrscheine kauft man am einfachsten per SMS.
Für Hans-Gert Penzel von der Uni Regensburg liegt keineswegs auf der Hand, dass Österreicher und Deutsche hier in Windeseile nachziehen. Erklärbar für den Bankenexperten durchaus mit kulturellen Hintergründen: "Cash ist natürlich auch ein Anonymisierungsmittel. Die Skandinavier hatten nie so große Probleme, ihre Daten preiszugeben." Tatsächlich kann in Schweden jeder Bürger unkompliziert herausfinden, wie viel der Nachbar oder die Freundin an Steuern bezahlt. Anruf beim Finanzamt genügt. "Solche Bürger sind auch eher bereit, ihre Geldströme elektronisch und transparent zu haben, nachvollziehbar für alle möglichen Interessenten", zeigt sich Penzel im Gespräch mit derStandard.at überzeugt. "Das wäre in Deutschland und vermutlich auch in Österreich deutlich schwieriger. Denn eine solche Anonymisierungsfunktion werden Sie in der Cashless Society nicht mehr haben."
Bargeldloses Zahlen ist auf dem Vormarsch. Auch hierzulande. "Sechs von zehn Österreichern zahlen heute seltener mit Bargeld als noch vor zehn Jahren", erklärt Thomas Schwabl, Geschäftsführer von Marketagent.com, bei der Präsentation einer einschlägigen Studie zum Thema in Wien. Wobei die Bankomatkarte bei den Befragten nicht überraschend die höchste Akzeptanz hat. Etwas mehr als ein Drittel greift aber immer noch zum Bargeld. Zumindest dann, wenn der zu bezahlende Betrag nicht allzu hoch ist, die psychologische Grenze liegt laut Studienergebnissen bei 30 Euro. Auch die Motive für die Entscheidung, ob eine Rechnung mit oder ohne Bargeld beglichen wird, sind naheliegend. Die erste Frage, die Konsumenten sich stellen, lautet: Wie viel Bargeld habe ich eingesteckt? Gefolgt von der Frage nach der Höhe des Betrags und das recht sinnvolle Nachdenken darüber, wie hoch der Polster auf dem eigenen Konto überhaupt ist.
Auch die emotionale Komponente von Bar- und Buchgeld nahmen die Studienautoren unter die Lupe. Demnach haben die Österreicher mittlerweile ein genauso starkes emotionales Verhältnis zur Bankomatkarte wie zu den Banknoten. Erstere würden 63 Prozent stark vermissen, Letztere immerhin noch 61 Prozent. Den Schotter ganz verbannen möchten die Befragten trotz schwerer Taschen nicht. Eurocent und Euro würden aber umgekehrt nur 36 Prozent wirklich abgehen.
Bargeldlose Gesellschaft in weiter Ferne
Grundsätzlich möchte man die Möglichkeit, dem Kellner ein paar Münzen zu hinterlassen oder der Enkelin einen Zehner zuzustecken, nicht missen. Eine völlige Abkehr von Banknoten und Münzen ist demnach für die Mehrheit der Österreicher zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorstellbar. Dass Österreich bald zu einer bargeldlosen Gesellschaft werden könnte, ist für 82 Prozent der Befragten überhaupt in weiter Ferne – quasi Fiktion. Derzeit würden nur 15 Prozent eine Cashless Society begrüßen, 60 Prozent lehnen diese sogar eher ab. Für mehr als die Hälfte der Befragten überwiegen in der bargeldlosen Gesellschaft die Nachteile (51,9 Prozent), lediglich 14 Prozent können darin Vorteile erkennen.
Nachteile fallen den Befragten zahlreiche ein. Die meistgenannten: Zunahme der digitalen Kriminalität, Zahlungsunfähigkeit bei Passwortverlust und totale Überwachung. Wenn man nach Schweden schaut, so legt man dort in Sachen Kriminalität auch Gegenargumente auf den Tisch. Groß durch die schwedische Presse ging die Geschichte eines Bankräubers, der vor einiger Zeit eine bargeldlose Bank überfiel und leer ausging. Ganze Landstriche tun sich im hohen Norden zusammen, um das Ableben der Scheine und Münzen voranzutreiben. In der südschwedischen Stadt Landskrona haben sich zum Beispiel vor geraumer Zeit mehr als 100 Geschäftsbesitzer der Initiative "Kontantfritt Landskrona" angeschlossen, die für das bargeldlose Leben wirbt. Nicht nur die leichteren Hosentaschen der Konsumenten wurden zur Überzeugung der Bürger ins Treffen geführt: Auch die Statistik für Raubüberfälle habe sich positiv verändert, sagte Anders Enqvist von der Polizei in Landskrona damals dem Deutschlandradio: "Die Raubüberfälle auf Läden haben kräftig abgenommen, seit wir das Projekt ins Leben gerufen haben. Es ist einfach nicht mehr so attraktiv, ein Geschäft zu überfallen, wenn du weißt, dass du nicht an ein paar Tausend Kronen kommst."
Hindernisse im Alltag
Tatsächlich baut sich im Vorreiterland Schweden für unvorbereitete Besucher mit der bargeldlosen Gesellschaft auch das eine oder andere unvorhergesehene Hindernis auf: Wer als Tourist dringend auf eine öffentliche Toilette muss, hat ein Problem. So manches Klo lässt sich nur öffnen, indem man eine SMS an die dort aufgeklebte Nummer schickt. Der Haken daran: Die Sache funktioniert nur mit einem schwedischen Handy. Hierzulande ist laut Studie das Handy als Zahlungsmittel aber ohnedies noch nicht angekommen. 55 Prozent der Befragten können sich zwar vorstellen, mit ihrem Smartphone an der Supermarktkasse zu bezahlen, aber erst für 0,1 Prozent ist Mobile Banking Realität. In Schweden denken sich die Banken hingegen für ihre Kunden geradezu unwiderstehliche Lösungen aus. Sechs der größten Institute bieten eine App namens "Swish" an. Mit ihr kann man auf Knopfdruck Geld zwischen Konten hin und her "swishen". Um zum Beispiel Freunden geborgtes Geld zu erstatten, braucht man die Mobilnummer des Empfängers, der Sekunden nach der Überweisung die Eingangsbestätigung erhält. Beide Geräte müssen selbstverständlich mit einem persönlichen schwedischen Bankkonto verknüpft sein.
Warum die Banken mit bargeldlos gut leben können, liegt zumindest für den Schweden Niklas Arvidsson, Dozent an der Königlich Technischen Hochschule KTH und Autor der Studie "The Cashless Society", auf der Hand. "Geldautomaten und Karten sind für sie billiger als Kassen, an denen ein Mensch steht, der bezahlt werden muss. Außerdem dürfen Banken für den bargeldlosen Zahlungsverkehr Gebühren erheben, für das Auszahlen von Münzen und Banknoten aber nicht", erklärt Arvidsson dem Wirtschaftsmagazin "Brandeins". Den für die aktuelle Marktagent.com-Studie auch befragten heimischen Bank- und Finanzexperten hängt das Herz ebenfalls eher wenig am Bargeld. Lediglich 32 Prozent verbinden damit das Gefühl von Unabhängigkeit und 27 Prozent das gute Gefühl, etwas "Greifbares" zu besitzen.
Mehr Last als Lust
22 Prozent der Finanzexperten sehen einen unnötigen Aufwand bei der Herstellung und Weitergabe; 30 Prozent kommen zu dem Schluss, dass Bargeld immer unnötiger wird. Christian Rauscher, Geschäftsführer von emotion banking, fasst das Ergebnis so zusammen: "Für die Banken ist das Bargeldhandling mehr Last als Lust. Sie stehen den Scheinen und Münzen deutlich kritischer gegenüber. Ginge es nach den Bankern, so würden Ein- und Zwei-Cent Münzen sofort abgeschafft werden, 500-Euro-Scheine hätten jedoch eine gute Zukunft." Niklas Arvidsson prognostiziert in seinem Report "Die bargeldlose Gesellschaft", dass bis 2030 die letzte Öre-Münze verschwunden sein wird. Der letzte Eurocent habe noch ein paar Jährchen länger Zeit. Laut der Umfrage rechnen Herr und Frau Österreicher hierzulande erst um das Jahr 2033 mit einer Gesellschaft, in der nur mehr via Bankomatkarte, Kreditkarte und Co bezahlt wird. (rebu, derStandard.at, 28.1.2014)