Wien – Wenn Verteidigerin Eva Schulze sagt: "Es handelt sich um einen Nachbarschaftskonflikt, der völlig aus dem Ruder gelaufen ist", ist es ein Euphemismus. Schließlich muss Richter Wolfgang Etl beurteilen, ob der 68-jährige Gerhard J. am 2. Oktober seinem Nachbar mitten auf dem Gehsteig mit einem Baseballschläger auf den Kopf gehauen hat.

Insgesamt sitzen vier Angeklagte im Saal. Auf der einen Seite J. und seine beiden Söhne, Nachbar Manfred I. auf der anderen. Würde es nach dem Vorleben gehen, könnte man sich den Prozess sparen. Familie J. sind freundliche, gut integrierte Menschen, Herr I. kann nach 41 Lebensjahren auf elf Vorstrafen und einige Gefängnisaufenthalte zurückblicken. Aber: "Er ist das Opfer und nicht der Täter", sagt sein Verteidiger Sebastian Lenz im Eröffnungsplädoyer.

Gerhard J. beginnt, seine Version der Ereignisse in dem Wiener Gemeindebau zu schildern. Am Tattag habe er Geschrei gehört, als er aus dem Fenster sah, habe I. "Kumm owi, sunst kumm i aufi und stich di o", geschrien.

Leicht verzweifelte Verteidigerin

J. kam – und nahm den Baseballschläger mit. "Wozu haben Sie den?", will Etl wissen. "Zur Abschreckung gegen Einbrecher." Zur leichten Verzweiflung seiner Verteidigerin weicht J. dann von den Vorbereitungsgesprächen ab. Als er aus der Haustür getreten sei, habe ihm sein Kontrahent bereits einen Faustschlag gegen die Brust versetzt. Daher habe er den Schläger waagrecht gehalten und wiederum I. in die Brust gestoßen. Dann sei er zurück in seine Wohnung gegangen.

"Und wie ist es dann zur Verletzung gekommen? Das Opfer hat eine Platzwunde und eine Gehirnerschütterung. War das der Heilige Geist?", interessiert den Richter. Der Angeklagte kann es sich nicht erklären. "Er hat sich vielleicht nach vorne gebeugt."

Dass ein Zeuge schildert, das Opfer sei auf der anderen Straßenseite gestanden, J. habe geschimpft und dem 1,87 Meter großen Mann schließlich von hinten auf den Kopf geschlagen, ist dem Pensionisten ebenso unbegreiflich. Auf Nachbohren seiner Verteidigerin erinnert er sich dann doch, dass sich das Ganze vielleicht auf der Straße abgespielt habe. Aber einen Schlag auf den Kopf habe es nie gegeben.

Söhne sollen gedroht haben

Seine beiden Söhne, die versucht haben sollen, den Zeugen einzuschüchtern, plädieren ebenso auf nicht schuldig.

Auftritt Manfred I.: Im Gegensatz zu den Aussagen anderer Hausparteien, die ihn als grundlos aggressiv und Lärmerreger bezeichnen, sieht er sich als Mobbingopfer. Frau J. und zwei andere Frauen sollen gar ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt haben. "Warum?", fragt der Richter. "Vielleicht, weil ich mich bei der Gemeinde über sie beschwert habe."

Den Vorfall selbst schildert er wie der Zeuge. Dass er bei anderer Gelegenheit die Schwiegertochter von J. so angerempelt haben soll, dass die eine Schulterprellung erlitt, sei dagegen eine Lüge.

Da der Zeuge nicht kommt, wird auf Februar vertagt. (Michael Möseneder, DER STANDARD, 29.01.2014)