Hirn in Aspik: Zuerst packten Forscher das Denkorgan von Henry M. in Gelatine, ehe sie es tiefgefroren in 2401 Scheiben schnitten und in ein einzigartiges 3-D-Modell verwandelten.

Foto: Jacopo Annese

Dieses Gehirn war verantwortlich für tausende wissenschaftliche Publikationen und hat das Wissen über das menschliche Gedächtnis entscheidend weitergebracht. Die Rede ist vom Denkorgan des Henry Gustav Molaison, der wiederum der bestuntersuchte Patient der modernen Neurowissenschaften gewesen sein dürfte.

Molaison hatte als junger Mann heftige epileptische Anfälle, die so dramatisch wurden, dass man sich 1953 zu einem chirurgischen Eingriff entschied. Dem damals 27-Jährigen wurden einige zum Teil bereits zerstörte Teile seines Gehirns entfernt: die medialen Temporallappen auf beiden Seiten des Gehirns inklusive zwei Drittel seines Hippocampus, des Gyrus parahippocampalis und der Amygdala.

Die Operation war zwar insofern erfolgreich, als seine epileptischen Anfälle deutlich zurückgingen. Aber sie forderte auch einen hohen Preis: Molaison litt die weiteren 55 Jahre seines Lebens an schwerem Gedächtnisverlust: Obwohl sein Arbeitsgedächtnis sowie sein prozedurales Gedächtnis funktionsfähig waren, konnte er keine neuen Ereignisse mehr in seinem Langzeitgedächtnis abspeichern.

Ansonsten war Molaison aber kaum beeinträchtigt, und er war so freundlich, sich zahlreichen Tests zur Verfügung zu stellen, die viele neue Erkenntnisse über die neuronale Basis unseres Gedächtnisses lieferten. Bevor er starb, willigte er auch noch ein, sein Gehirn der Forschung zu spenden.

Gehirn in höchster Auflösung online

Forscher um Jacopo Annese (Universität von Kalifornien in San Diego) fertigten vom tiefgefrorenen Gehirn 2401 Dünnschnitte an, digitalisierten sie und erstellten ein einzigartiges 3-D-Modell, das sie im Fachblatt "Nature Communications" vorstellen. Das virtuelle Präparat, das ab sofort frei zugänglich online abrufbar ist, weist eine höhere Auflösung auf als die bisherigen 3-D-Modelle von Gehirnen. Das wiederum ermöglichte es, eine Verletzung durch die Operation zu entdecken, die bisher übersehen worden war.

Und so wird das hilfreiche Hirn von Henry Molaison wohl noch für etliche weitere wissenschaftliche Publikationen sorgen. (tasch, DER STANDARD, 29.1.2014)