"Jetzt bin ich der Tod geworden": Robert Oppenheimer (links) und Colonel Leslie Groves inspizieren die Überreste der ersten Atombombenexplosion am 16. Juli 1945 in New Mexico.

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Ray Monk forschte zwölf Jahre lang über Oppenheimer.

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Ray Monk: Inside the Center. The Life of J. Robert Oppenheimer. Vintage, € 11,-.

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Er hat zwar nicht die allerwichtigsten Beiträge zur Entwicklung seines Fachs im 20. Jahrhundert geleistet. Aber es gab wohl keinen anderen Physiker in den letzten 100 Jahren, der an so vielen entscheidenden Wendepunkten der Disziplin beteiligt war wie J. Robert Oppenheimer. Vor allem leitete er das für die Weltgeschichte wohl folgenreichste Physik-Projekt aller Zeiten: jenes nämlich, das zum Bau der ersten Atombombe führte.

Gezündet wurde diese Bombe am 16. Juli 1945, 250 Kilometer südlich von Los Alamos in der Wüste von New Mexico. Drei Wochen später wurde die erste Bombe auf Hiroshima abgeworfen. Der Explosion gingen drei Jahre dauernde Forschungen voraus, zeitweilig waren bis zu 100.000 Mitarbeiter am sogenannten Manhattan-Projekt beschäftigt, und nach heutigem Umrechnungskurs kostete das geheime Unternehmen mehr als 20 Milliarden Euro.

"Zerstörer der Welten"

Im Moment der Explosion sei mit einem Mal alle Anspannung aus Oppenheimers Gesicht gewichen, erinnerte sich ein Zeitzeuge. Oppenheimer selbst sagte, dass er an eine Passage aus der Bhagavad Gita denken musste - jene, in der Vishnu sich in einen Krieger verwandelt und sagt: "Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten." Der Physiker hatte das indische Epos übrigens in Sanskrit gelesen - einer seiner zahlreichen intellektuellen Spleens.

Es gibt wohl keinen lebenden Menschen, der mehr über den 1904 in New York geborenen J. Robert Oppenheimer in Erfahrung gebracht hat als Ray Monk. Der britische Philosoph saß zwölf Jahre lang an seiner monumentalen, 2012 erschienenen Biografie über den Physiker - dennoch sind ihm bis heute einige Aktionen Oppenheimers ein Rätsel, wie er im Gespräch mit dem Standard erklärt.

Fokus auf die Physik

Monk, Autor einer gefeierten Biografie des österreichisch-britischen Philosophen Ludwig Wittgenstein und eines zweibändigen Werks über dessen Kollegen Bertrand Russell, wählte für seine Annäherung an die enigmatische Persönlichkeit Oppenheimers den Weg über dessen Wissenschaft. "Die Physik war in den bisherigen Biografien immer etwas zu kurz gekommen", so Monk, der sich in technischen Dingen vom Physiker James Todd beraten ließ.

Und so nimmt der Autor auch physikalisch weniger bedarften Leser mit auf eine faszinierende Reise zu einigen entscheidenden Phasen der Physik im 20. Jahrhundert. Der hochbegabte Oppenheimer, Sohn deutsch-jüdischer Einwanderer war gleich vier Mal bei solchen Umbrüchen dabei: 1926 arbeitete Oppenheimer in Göttingen, wo er bei Max Born promovierte, einem der Anführer der "Quantenrevolution" in der Physik. Drei Jahre später wurde er in Berkeley teilnehmender Beobachter, wie sein Freund Ernest Lawrence den ersten kreisförmigen Teilchenbeschleuniger baute und damit die Vorherrschaft über die Teilchenphysik in die USA holte.

Weit über das Fach hinaus wirkte Oppenheimer dann zum einen als wissenschaftlicher Leiter des Manhattan-Projekts in Los Alamos und 1947 als zentraler Berater der Regierung in Fragen der Atomenergie. Wie es der Forscher schaffte, stets Inside the Centre zu stehen - so der gut gewählte Titel von Monks über 800 Seiten starker Biografie -, blieb in vielen bisherigen Darstellungen ein Rätsel.

Oppenheimer war kein experimenteller, sondern ein theoretischer Physiker, beschäftigte sich auch mit indischer Mystik und französischer Poesie und stand politisch eindeutig weit links. Dennoch betraute Colonel Leslie Groves ausgerechnet den erratischen Oppenheimer mit der wissenschaftlichen Leitung des wichtigsten physikalischen Projekts des 20. Jahrhunderts.

Monk hat dafür drei gute Erklärungen: "Erstens war Oppenheimer von der Dringlichkeit des Projekts überzeugt und zweitens konnte er Groves besser erklären, um was es physikalisch dabei ging." Zum Dritten sei Groves eine bemerkenswerte Person gewesen, deren Vertrauen sich letztlich als berechtigt erwies.

In der McCarthy-Ära erwuchsen Oppenheimer, der sich für eine Kontrolle der Kernenergie und gegen ein nukleares Wettrüsten einsetzte, umso mächtigere Feinde: 1954 wurde ihm die Sicherheitsberechtigung entzogen, weshalb er in die Forschung und Lehre zurückkehrte. Rehabilitiert wurde Oppenheimer erst 1963, vier Jahre vor seinem Tod.

Als Forscher hat Oppenheimer nicht allzu viel Bleibendes hinterlassen: Sein wichtigster Artikel war wohl einer aus dem Jahr 1939 über das Konzept der Schwarzen Löcher. In den 27 Jahren danach kam er nie mehr darauf zurück. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 29.1.2014)