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USA und EU - im Bild EU-Handelskommissar Karel De Gucht (re.) im Gespräch mit dem US-Handelsbeauftragten Michael Froman - wollen eine transatlantische Freihandelszone einrichten.

Foto: apa/epa/Laurent Gillieron

Die Liberalisierungsgegner haben ein neues Feindbild. Es ist zwar kaum bekannt, aber das stört nicht weiter. Es heißt Investitionsschutzkapitel und insbesondere Investor-Staat-Streitbeilegung, wird häufig nach der englischen Bezeichnung "Investor-State Dispute Settlement" als ISDS abgekürzt und soll in der TTIP (der "Transatlantic Trade and Investment Partnership"), die derzeit zwischen der EU und den USA hinter verschlossenen Türen verhandelt wird (oder doch nicht verhandelt wird), dazu führen, dass den Konzernen alle Macht zukäme und die wehrlosen Staaten ihrer souveränen Rechte der sozial- und umweltpolitischen und sonstigen Regulierungsgewalt beraubt würden.

Mit anderen Worten führe ISDS zum Ausverkauf des Staates, heißt es, was sehr an die Antiglobalisierungskampagne der 1990er-Jahre erinnert, die vor allem gegen die WTO gerichtet war und sich bei Protesten in Seattle und nachfolgenden Ministertreffen oft lautstark artikulierte.

Doch worum geht es bei ISDS und weshalb konnten die EU, die USA und der Rest der Welt in den letzten Jahrzehnten in über 3000 bilateralen und in zahlreichen multilateralen Investitionsschutzabkommen Streitbeilegungsmechanismen vorsehen, die privaten Investoren ein direktes Klagerecht vor internationalen Schiedsgerichten einräumen, wenn dies mit Selbstentmachtung der Staaten gleichzusetzen ist?

Anstatt Kanonenbooten

Nun, offenbar gibt es andere Gründe, die für diese Art der Streitbeilegung sprachen. Bei der bis Mitte des 20. Jahrhundert vorherrschenden Form der Streitbeilegung auf zwischenstaatlichem Weg - dem sogenannten diplomatischen Schutzrecht - setzten die Heimatstaaten der großen transnationalen Unternehmen deren Interessen oft nicht sehr zimperlich durch (Stichwort "Kanonenbootpolitik"). Klar ist, dass man diese zwischenstaatliche Streitbeilegung "entpolitisieren" wollte. Die geeignete, und vor allem auch von Entwicklungsländern präferierte Form der Entpolitisierung war die Schaffung unabhängiger Schiedsgerichte, die bei behaupteten entschädigungslosen (indirekten) Enteignungen oder Verletzungen (anderer) rechtsstaatlicher Prinzipien ein neutrales Streitbeilegungsforum darstellten und deren Mitglieder von den Streitparteien selbst eingesetzt wurden.

Besseres Investitionsklima

Dies kam auch den Interessen der Investoren entgegen, die nun nicht mehr vom guten Willen ihrer Heimatstaaten abhingen und nicht mehr auf die Gerichte der Staaten angewiesen waren, in denen sie investiert hatten und die häufig keinen adäquaten Rechtsschutz im Sinne einer funktionierenden unabhängigen Justiz boten. Diese zusätzliche Rechtssicherheit für Investoren, im "Notfall" Zugang zu ISDS zu haben, wurde von kapitalimportierenden Entwicklungsländern als wichtiger zusätzlicher Investitionsanreiz angepriesen und sorgte so für ein besseres "Investitionsklima", wenngleich die Kausalität zwischen rechtlich verankertem Investitionsschutz und erhöhten Investitionen im Einzelfall schwer nachweisbar blieb.

ISDS wurde in den letzten zwei Jahrzenten immer häufiger in Anspruch genommen. Derzeit liegen circa 500 Schiedssprüche in solchen Streitigkeiten vor. Mit der Intensivierung internationaler Investitionsströme kommt es auch vermehrt zu Klagen gegen europäische Staaten und andere OECD-Länder, was wiederum zu einer zunehmenden Skepsis gegenüber ISDS als "Souveränitätsbremse" geführt hat. Die Klage des schwedischen Unternehmens Vattenfall gegen Deutschland ist das mittlerweile allseits bekannte Beispiel.

Tatsache ist, dass Investoren nur in knapp einem Viertel aller Fälle erfolgreich sind und in der Regel nur einen Bruchteil der (oft überzogenen) Entschädigungsforderungen zugesprochen erhalten. Die Fälle, in denen Investoren entschädigt wurden, resultieren häufig aus extremen Situationen wie De-facto-Enteignungen oder sonstigen staatlichen Maßnahmen, bei denen die rechtsstaatlichen Grundsätze der fairen und gerechten Behandlung oder der Nichtdiskriminierung oft aufs Gröbste missachtet wurden.

Die mittlerweile fast durchwegs öffentlich verfügbaren Schiedssprüche in Investitionsstreitigkeiten basieren auf akribischer Prüfung der konkreten Vorwürfe, und Schiedsgerichte haben wiederholt festgestellt, dass es nicht ihre Aufgabe sei, quasi als "Versicherungsanstalt" gegen unternehmerische Fehlentscheidungen zu fungieren. Klar ist auch, dass Schiedsgerichte im Rahmen von ISDS keinem Staat untersagen können, bestimmte gesetzgeberische oder sonstige Maßnahmen im Rahmen seiner Regulierungshoheit zu treffen, sondern sich darauf beschränken müssen, Schadenersatz zuzusprechen, wenn die Maßnahmen in besonders intransparenter, unfairer oder gegenüber ausländischen Investoren diskriminierender Weise getroffen wurden.

Dasselbe gilt, wenn sie enteignungsgleiche Wirkung haben. Dann soll durch die Zuerkennung einer adäquaten Entschädigungssumme verhindert werden, dass bei Maßnahmen, die im Interesse der Allgemeinheit getroffen werden (und auch weiterhin getroffen werden dürfen), einzelne, oft politisch nicht ausreichend geschützte ausländische Investoren allein die Zeche zahlen müssen.

Dass diese Kernfunktionen der ISDS oft funktionell den Aufgaben der Rechtsstaatlichkeitskontrolle entsprechen, wie sie auf nationaler verfassungsgerichtlicher sowie auf internationaler menschenrechtlicher Ebene gefordert und ausgeübt werden, wurde zu Recht erkannt. Dass sich souveräne Staaten nicht gerne kontrollieren lassen, ist ebenfalls bekannt. Dass sie nun durch ISDS-kritische NGOs unterstützt werden, ist jedoch bemerkenswert. (August Reinisch, DER STANDARD, 30.1.2014)