In Falluja, der alten Stadt in der westirakischen sunnitischen Provinz Anbar, ist Krieg – wobei sich die offiziellen Informationen, die zur Verfügung stehen, meist darauf beschränken zu melden, wie viele "Terroristen" die irakische Armee getötet habe. Doch die Situation ist viel komplexer: Ja, Terroristen der auch in Syrien kämpfenden ISIS (Islamischer Staat im Irak und der Levante) gibt es in Falluja, aber auch eine Bevölkerung, die die irakische Armee nicht als Befreier, sondern als Repressionsinstrument der Regierung in Bagdad sieht.

Mitten in diesen Krieg hinein, als würde das irgendetwas lösen, ließ vor ein paar Tagen die irakische Regierung von Nuri al-Maliki mit der Ankündigung aufhorchen, dass der Bezirk Falluja mit der gleichnamigen Hauptstadt zur Provinz gekürt werden soll. Die Stadt Falluja hat eine interessante uralte Geschichte, ist berühmt für ihre konservative Frömmigkeit – sie hatte früher den Beinamen "Stadt der Moscheen", von den alten Bauwerken ist allerdings nach 2003 nicht viel übrig geblieben – und Fallujas Bevölkerung ist nicht so sehr von Stammeszugehörigkeiten charakterisiert, wie es sonst in Anbar der Fall ist. Aber die Bevölkerung Fallujas hat eigentlich nie den Wunsch geäußert, der Provinz Anbar den Rücken zu kehren, und die Provinzregierung von Anbar hat dementsprechend erstaunt und ablehnend auf die in Bagdad geborene Idee reagiert.

Falluja aufwerten – und isolieren

Selbstverständlich bekommt eine Provinz mehr Autonomie – durch die eigenen Institutionen der Provinzverwaltung – und mehr Entscheidungsfreiheit. Es ist also gar nicht ausgeschlossen, dass sich die Bezirksautoritäten von Falluja mit dem Gedanken anfreunden, künftig mehr "Macht" zu haben, wenn sie als Provinzautoritäten agieren können. Die Absicht Malikis ist aber ziemlich durchsichtig: Was wie eine Aufwertung Fallujas aussieht, würde der Zentralregierung helfen, die rebellische Stadt – die im Aufstand gegen die US-Präsenz und die neuen Herren in Bagdad nach 2003 immer wieder eine führende Rolle gespielt hat – zu isolieren und unter Kontrolle zu bekommen, mit welchen Mitteln auch immer. Anbar und dessen Hauptstadt Ramadi wären schlicht nicht mehr zuständig für die Beziehungen zwischen der Provinz Falluja und Bagdad.

Eine neue irakische Provinz: Dieser Gedanke ist, wenn man die jüngere irakische Geschichte kennt, untrennbar mit Saddam Husseins Annexion von Kuwait und dessen Proklamation zur 19. Provinz des Irak verbunden, nachdem er das Emirat am Golf im August 1990 angegriffen, überrollt und ausgeplündert hatte. Was selbstverständlich nicht heißen soll, dass der Irak deshalb dazu gezwungen wäre, seine Verwaltungsbezirke in alle Ewigkeit so zu lassen, wie sie sind. Aber die Gründe für verwaltungstechnische Veränderungen sollte man sich in einem Land wie dem Irak immer genau ansehen. Sie können pragmatischer Natur sein – aber auch anderer.

Halabja ist die Nummer 19

Falluja wird, sollten die Pläne umgesetzt werden, auch nicht einmal die neue "19. Provinz". Dieser Rang ist nämlich Halabja vorbehalten, wo die Dinge anders liegen – denn hier erfüllt Bagdad einen ausdrücklichen Wunsch der Kurdischen Regionalregierung in Erbil. Das autonome Kurdengebiet würde dann aus vier Provinzen bestehen: Dohuk, Erbil, Sulaymaniya und eben Halabja, das zuvor Teil Sulaymaniyas war. Der kurdische Präsident Masud Barzani (KDP – Kurdische Demokratische Partei) begründete die Idee einer Aufwertung mit Halabjas Geschichte, und auch die rivalisierende PUK (Patriotische Union Kurdistans), deren Hochburg Sulaymaniya ist, steht dahinter. PUK- Generalsekretär Barham Salih – der große alte Mann der PUK, Iraks Präsident Jalal Talabani, ist ja nach einem Schlaganfall arbeitsunfähig – erinnerte daran, dass Halabja weltweit für die Identität der Kurden und Kurdistan stehe.

Halabja wurde 1988, als es im Iran-Irak-Krieg unter iranischer Kontrolle stand, von Saddam Hussein mit Giftgas angegriffen, tausende Menschen wurden dabei getötet. Vor der amerikanischen Invasion im Irak im Jahr 2003 wurde die Gegend um Halabja teilweise von radikalen Islamisten kontrolliert, und nach 2003 fühlte sich die Bevölkerung von Halabja oft von der eigenen Regierung in Erbil und der Provinzregierung in Sulaymaniya vernachlässigt und schlecht behandelt. Diese Wunden sollen nun endgültig geheilt werden, versprach Barzani. Der Ministerrat in Bagdad stimmte für die Provinzwerdung, es fehlt nur noch die Zustimmung im Parlament.

Aber es endet eben nicht hier. Gegen die Provinz Halabja stimmte im irakischen Ministerrat als einer von drei Kabinettsmitgliedern der sonst nicht sehr auffällige Jugendminister Jasim Muhammad Jafar. Und er spielte in der Folge eine sehr aktive Rolle bei der Kreation einer der weiteren Provinzen, auf die sich die irakische Regierung verständigte. Nach Halabja gab es nämlich überraschend eine "prinzipielle Entscheidung" für gleich vier neue Provinzen: das bereits genannte Falluja, der Bezirk Tuz Khormato und der Bezirk Tal Afar sowie die "Niniveh Ebene", die ungefähr aus drei Verwaltungsbezirken (Tal Kef, Shaykhan und Hamdaniyah) besteht. Tal Afar und die Niniveh-Ebene gehören bisher zur Provinz Niniveh, Tuz Khormato zu Salah al-Din.

Wenn Sie über unsere interaktive Karte drüberfahren, sehen Sie in den für uns hier relevanten Provinzen die Bezirke, um die es hier geht. Als Referenz haben wir auch wichtige Bezirke wie Mossul, Tikrit und Ramadi beschriftet.

Von 18 auf 23 Provinzen

Irak hätte demnach 23 Provinzen, 18 plus Halabja plus vier. Vor den für April geplanten Parlamentswahlen wird höchstens die Provinz Halabja geschaffen werden können. An den Plänen für die anderen arbeiten noch die Verwaltungsjuristen, dazu wurde erst einmal ein Komitee eingesetzt. In der irakischen Verfassung steht nichts über die Neukreation von Provinzen (hingegen, dass sich drei Provinzen nach kurdischem Muster zu einer Region zusammenschließen können, was auch immer wieder ein Thema ist im Irak). Man wird also erst sehen, was nach den Wahlen – so sie angesichts der Sicherheitslage stattfinden können – passiert. Aber die ganze Geschichte gibt auf jeden Fall einen guten Einblick in die irakische Politik unter Maliki, der durchaus Chancen hat, wieder Ministerpräsident zu werden.

Die umstrittensten Pläne betreffen Tuz Khormato und Tal Afar. Letzteres geht auf die Initiative des bereits erwähnten Ministers Jafar zurück: Jafar ist Turkmene, und Tal Afar ist ein wichtiges turkmenisches Siedlungsgebiet. Aber nicht nur – wichtig ist auch, dass vieler dieser Turkmenen Schiiten sind, was den Bezirk beziehungsweise die neue Provinz auch für die arabischen Schiiten interessant macht, etwa bei Wahlen: eine schiitische Insel im sunnitischen Niniveh. Tal Afar hat wegen seiner schiitischen Bevölkerung während des Bürgerkriegs viel unter Al-Kaida-Attentaten gelitten. Auch dadurch haben ebenfalls radikale schiitische Gruppen Fuß gefasst, zuletzt die Miliz Asaib al-Haq, die ihre Kämpfer auch nach Syrien schickt.

So erklärt sich die Reaktion des sunnitischen Gouverneurs von Niniveh, Atheel al-Nujaifi – sein Bruder Osama ist Parlamentspräsident in Bagdad –, der laut der kurdischen Zeitung Rudaw der Regierung Maliki ganz gerade heraus vorwirft, durch die Abspaltung  von Tal Afar, aber auch der Niniveh-Ebene, eine von der Regierung kontrollierte Route zwischen dem Iran und Syrien schaffen zu wollen, auf der iranische Hilfe für das Assad-Regime nach Syrien fließen könnte.

Eine Provinz für die Christen

Allerdings ist der Plan, die Niniveh-Ebene zur Provinz zu machen, die Erfüllung eines alten Wunsches der dort lebenden christlichen Bevölkerung, die seit 2003 Angriffen von radikalen Muslimen aller Seiten – Sunniten und Schiiten – ausgesetzt ist. Mehr Unabhängigkeit von Niniveh, einer Provinz, die viel unter Radikalismus zu leiden hatte und hat,  bedeutet für sie mehr Sicherheit und einen Zufluchtsort auch noch für verfolgte Christen aus anderen Teilen des Irak, hoffen sie. Insofern freut diese Entscheidung den Provinzgouverneur von Niniveh zwar nicht, wird aber sonst kaum kritisiert. Neben den Christen leben in der Niniveh-Ebene auch Yaziden und Angehörige der Konfession der Shabak. Die Kurden betrachten beide Gruppen als zu ihnen gehörig, was manche Yaziden und Shabak, die auf ihre eigene Identität pochen, jedoch als Zwangsumarmung betrachten.

Bleibt noch Tuz Khormato (in der Provinz Salah al-Din). Mit Tal Afar teilt dieser Bezirk außer dem turkmenischen Bevölkerungsanteil ein Charakteristikum, das die Kurdische Regionalregierung in Erbil gegen die Pläne der Erhebungen zur Provinz auf die Barrikaden treibt: Teile von beiden Bezirken sind als "umstrittenes Gebiet" klassifiziert, über dessen Zugehörigkeit zum arabischen oder zum kurdischen Teil des Irak laut der irakischen Verfassung von 2005 ein Referendum stattfinden sollte. Eigentlich wäre es bis 2007 fällig gewesen, weswegen einige Herren in Bagdad dieses Referendum nunmehr, sechs Jahre danach, als obsolet ansehen – ganz im Gegensatz zu den Kurden. Durch die Veränderung des Status der Bezirke wäre eine Vorentscheidung über die zukünftigen Grenzen gefallen, das ist keine Frage. Die Kurdische Regionalregierung wird dagegen ankämpfen.

Saddams Arabisierungspolitik

Im Fall von Tuz Khormato ist die Lage besonders kompliziert. Der Bezirk gehörte früher zur Kirkuk, die irakische Regierung mit dem damaligen Vizepräsidenten Saddam Hussein schlug ihn in den 1970er Jahren jedoch der Provinz Salah al-Din zu. Nun steht ebenfalls in der irakischen Verfassung, dass das Arabisierungsprogramm der Baath-Regierung vor dem bereits erwähnten Referendum rückgängig gemacht werden soll (was wiederum zu einer auch nicht immer astreinen Siedlungspolitik der Kurden in der Gegend um Kirkuk geführt hat). Ali Ahmed vom "Institute for the Study of War" berichtet, dass der Provinzrat von Kirkuk im Dezember dafür gestimmt hat, Tuz Khormato wieder ihrer Provinz einzugemeinden – unter Protest der arabischen und der turkmenischen Mitglieder des Kirkuker Rates. Aber so einfach würde das ohnehin nicht gehen, das Votum ist wohl mehr symbolisch.

Trotzdem gießt jetzt Bagdad durch seine eigene Entscheidung willig und wissentlich Öl ins Feuer. In Tuz Khormato bestand bereits im Dezember 2012 akute Kriegsgefahr zwischen von Erbil befehligten kurdischen Peschmerga-Truppen und der irakischen Armee, namentlich des "Tigris Operation Command", das Maliki bei Kirkuk stationiert hatte – was die Kurden als Provokation empfanden.

Es fällt also schwer, Malikis Pläne als harmlos und rein verwaltungstechnisch anzusehen, sie sind hoch politisch – antikurdisch, aber auch antisunnitisch, denn mit einer Schwächung der mehrheitlich sunnitischen Provinzen Niniveh, Salah al-Din und Anbar einhergehend. Und selbst wenn er es gut meinte: Die Veränderungen laufen auf eine weitere Zerstückelung des Irak in Einheiten hinaus, die eine ethnische und konfessionelle Identität haben (sollen).

Wenig überraschend wollen jetzt auch andere Gruppen ihre eigene Provinz haben: Ali Ahmed berichtet, dass die Yaziden-Partei dem Kabinett in Bagdad den Wunsch vorgelegt habe, dass auch der in Niniveh liegende Bezirk Sinjar – wo viele Yaziden leben – in eine Provinz umgewandelt werden sollte. Fast schon komisch ist der Vorschlag eines Mitglieds der Sadristen (die Bewegung des Schiitenführers Muqtada al-Sadr), dass der Bagdader Stadtteil Sadr City zur Provinz erhoben werden muss. Aber vielleicht helfen ja solche Vorschläge Maliki, die Frage zu überdenken, ob der Ansatz seiner Regierung wirklich so gescheit ist. (Gudrun Harrer, derStandard.at, 2.2.2014)