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Olympische Fahne ja, österreichische Nationalflagge nein: Die in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung lebende Skispringerin Daniela Iraschko-Stolz wird Rot-Weiß-Rot in Sotschi nicht tragen.

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Peter Menasse: Moral wird Wirtschaftsinteressen geopfert.

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Die Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist hinlänglich bekannt. Wer in Russland aufbegehrt - und sei der Protest noch so harmlos -, der endet in Sibirien. Beispiele dafür haben wir zur Genüge kennengelernt. Der kleine Mann mit der großen Angst vor jungen Frauen, siehe das beredte Beispiel Pussy Riot, nähert sich mehr und mehr dem Führungsstil des "Genossen" Stalin an.

Vor kurzem wurden in Russland nun auch diskriminierende Anti-Homosexuellen-Gesetze beschlossen. Die Sportwelt - und nicht nur sie - fragt sich daher auch seit Monaten, warum die Olympischen Spiele just nach Russland vergeben wurden.

Fehlen aus Protest

Inzwischen haben politische Vertreter aus dem demokratischen Teil der Welt erklärt, aus Protest nicht nach Sotschi zu reisen. Es fahren weder Präsident Barack Obama noch sein Vize Joe Biden, es werden Joachim Gauck und Angela Merkel, EU-Kommissarin Viviane Reding und der französische Präsident François Hollande fehlen.

Ganz im Gegensatz dazu wird Bundeskanzler Werner Faymann bei den Spielen anwesend sein. Er nimmt keinen Anstoß an den Diskriminierungen einer Menschengruppe, deren Verfolgung hierzulande so lange nicht her ist und voll von Grausamkeit war.

Aber wie so oft scheint es nicht um die Symbole der Demokratie zu gehen, sondern einfach darum, ob ein Land, in diesem Fall Russland, für Österreich von ökonomischer Bedeutung ist. Dafür wird schnell jede Moral geopfert.

"Lasst Kinder in Ruhe"

Anlässlich eines Besuches bei freiwilligen Helfern für die Olympischen Spiele hat Präsident Putin jetzt ein weiteres Mal bewiesen, dass Menschenrechte das Seine nicht sind. "Schwule sollen sich bei den Olympischen Spielen in Sotschi wohlfühlen. Aber bitte, lasst unsere Kinder in Ruhe", sagte er.

Er meinte damit wohl nicht, wie man es auch lesen könnte, dass es ein alleiniges Privileg der Heterosexuellen sei, russische Kinder zu belästigen. Nein, im Ernst, es ist das die altbekannte, widerliche Behauptung, dass sämtliche Homosexuelle gleichzeitig auch Päderasten seien. Egal, egal, wir fahren hin, lautet dennoch die Devise unserer Politiker.

Nach Sibirien?

Und die Sportfunktionäre? Der Präsident des Österreichischen Skiverbandes, Peter Schröcksnadel steht hier pars pro toto. "Ich rate keinem Sportler, sich politisch zu äußern", richtete er seinen Schutzbefohlenen im Standard aus. Was, wenn doch? Sibirien? Österreichische Sportler dürfen Medaillen holen, sich in schönen Sportanzügen präsentieren, gelten aber den hohen Herren als nicht mehr denn entmündigte Kinder.

Vor wenigen Tagen kam nun die Idee auf, Österreich möge ein Zeichen setzen und die Skispringerin Daniela Iraschko-Stolz als Fahnenträgerin der österreichischen Delegation vorangehen lassen. Sie hat im August 2013 ihre Freundin geheiratet und spricht unbefangen von ihrer gleichgeschlechtlichen Liebe. Iraschko-Stolz hat sich als Sportlerin international einen guten Namen gemacht. Sie gilt als eine Pionierin des Frauen-Skispringens und gewann zuletzt, wiederhergestellt nach einer schweren Verletzung, zwei Weltcup-Springen.

Die sympathische und bescheiden auftretende Sportlerin auszuwählen wäre eine gute Chance gewesen, im wahrsten Sinne des Wortes Flagge für die Menschenrechte zu zeigen. Ähnliches hat übrigens Präsident Obama gemacht, als er die frühere Weltklasse-Tennisspielerin Billie Jean King und die Eishockeyspielerin Caitlin Cahow, beide bekennende Lesben, als offizielle Vertreterinnen der USA nominierte.

Aber wieder das gleiche mutlose Bild: Der Vorsitzende des Österreichischen Olympischen Comités Karl Stoss trat vor die Presse und gab bekannt, dass Benjamin Raich, ein durchaus sympathischer Sportler, die Fahne tragen wird. Und zum Vorschlag, Iraschko-Stolz mit der Ehre zu betrauen, meinte er: "Natürlich war sie auch ein Thema, sie ist eine ganz großartige Sportlerin und hat ganz tolle Erfolge gefeiert, aber sie hat keine Olympiamedaille wie Raich. Wir werden in Sotschi viele Zeichen setzen, aber nicht mit dem Fahnenträger, wir lassen uns da nicht instrumentalisieren."

Wer instrumentalisiert wen?

Von wem lässt sich Herr Stoss da nicht instrumentalisieren? Von jenen, die an die Moral appellieren und das Eintreten für Menschenrechte fordern, von jenen, die sich ein Zeichen für die demokratische Reife unseres Landes erwarten? Tatsächlich lassen sich Herr Stoss und das ganze Olympische Comité ganz ordentlich instrumentalisieren, und zwar von Putin und seinem System.

Herrn Stoss als oberstem Repräsentanten des Österreichischen Olympischen Comités wäre der Rückzug aus dieser Funktion zu empfehlen. Er lässt es, wie viele seiner Kollegen in diesem Old-Boys-Club, an moralischer Reife mangeln, wenn er voll Hochmut die Augen vor den politischen Bedingungen in Russland verschließt.

"Glückliche Herzen"

Nötig hat er die Aufgabe als Sportfunktionär wahrlich nicht. Als Vorstandsvorsitzender der Casinos Austria AG mit ihren vielen Töchtern ist er ausreichend mit Arbeit und Auslandsengagements beschäftigt, die für die Lotterien sogar bis in das ferne russische Baschkortostan führen, wo den Menschen nichts anderes bleibt, als ihre kleine Hoffnung auf Rubbellose namens "Glückliche Herzen" zu setzen. (Peter Menasse, DER STANDARD, 1.2.2014)