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"Wenn Menschen ihr Leben als handhabbar empfinden, einen Sinn in ihrem Tun sehen und das Ganze noch als selbstbestimmt erleben, ist das förderlich für die Gesundheit", so Peter Nowak.

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Gesundheit ist eng gekoppelt mit einer gelungenen Arzt-Patienten-Kommunikation. Laut dem Experten ist das Verstehen einer Therapie oder der eigenen Erkrankung der Ausgangspunkt, um überhaupt gesund werden zu können.

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Laut Gesundheitsexperten wie Peter Nowak leben wir in einer "Gesundheitsgesellschaft", die von der Vorstellung geprägt ist, dass Gesundheit "grenzenlos", "überall" und "machbar" ist. Demnach ist jede Entscheidung auch eine Gesundheitsentscheidung. Im Gespräch setzt er sich mit dem Begriff "Gesundheit", dem Wohlbefinden der österreichischen Bevölkerung und der Selbstbestimmung der Patienten auseinander.

derStandard.at: Was bedeutet Gesundheit - und sind wir heute gesünder als die Bevölkerung vor 20 oder 30 Jahren?

Nowak: Hier muss ich zunächst die Frage stellen, woran Gesundheit gemessen wird. Im simpelsten Fall gehen wir dabei von der Lebenserwartung aus. Das ist natürlich noch kein Leben, sondern es wird lediglich die Länge des Lebens gemessen.

Deshalb gibt es mittlerweile andere, international vergleichbare Standardmaße wie etwa die "gesunden Lebensjahre", die sich aus drei Messgrößen zusammensetzen: dem subjektiv beurteilten Gesundheitszustand, dem Leben mit einer chronischer Erkrankung und dem behinderungsfreien Leben. Demnach kann ich chronisch krank sein, mich aber behinderungsfrei und subjektiv gesund fühlen. Eine erste Analyse der vergangenen 20 Jahre für Holland hat gezeigt, dass sich die "gesunden Lebensjahre" zwar positiv entwickeln, aber die chronischen Erkrankungen zunehmen. Die "subjektiv beurteilte Gesundheit" stagniert hingegen.

derStandard.at: Das heißt, die gesunden Lebensjahre nehmen zu, das wird aber nicht so empfunden?

Nowak: Genau. Am stärksten gestiegen sind die behinderungsfreien Jahre. Die haben eindeutig zugenommen, auch in Österreich.

derStandard.at: Aber weist dieses Ergebnis nicht darauf hin, dass wir uns zunehmend kränker fühlen - nicht nur körperlich, sondern auch psychisch?

Nowak: Ich würde hier lieber vom Begriff "Gesundheit" auf die Bezeichnung "Wohlbefinden" wechseln. So gesehen stimmt es, dass sich die Leute nicht mehr so wohlfühlen.

Ich würde - auch wenn es vielleicht etwas romantisch klingen mag - lieber eine Grundbeschreibung der Gesellschaft als Ausgangspunkt hernehmen, die das Glücklichsein ins Zentrum rückt. Ich denke, dass in unserer Gesellschaft über die Medikalisierung und die Dominanz der Medizin die Frage "Wie glücklich wir sind?" auf die Gesundheit projiziert wird. Mein Eindruck ist, dass Gesundheit das akzeptierte Symbol für das Glück in der Gesellschaft ist. Das heißt, wir können öffentlich über Gesundheit reden, aber nicht darüber, ob wir glücklich sind. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass sich Politik zwar rund um das Thema "Gesundheit" entwickeln kann, aber nicht um das Glück der Leute.

Es gibt aber bereits Ansätze - ursprünglich aus Bhutan kommend, die beispielsweise auch von Kanada ein Stückchen übernommen werden -, die sich damit beschäftigen, wie das Bruttonationalprodukt in eine "Gross National Happiness" umdefiniert werden kann. Der tatsächliche politische Diskurs ist ja wirtschaftlich orientiert und dreht sich noch immer primär um das Bruttonationalprodukt. Das führt zu Einschränkungen, die wesentliche Aspekte einer guten Gesellschaft sogar unterminieren.

derStandard.at: Nichtsdestotrotz nehmen globale Gesundheitsprobleme wie Diabetes Typ II und Adipositas zu. Als Gegensteuerungsmaßnahmen werden etwa Fett- und Zuckersteuern oder höhere Sozialversicherungsbeiträge für Risikogruppen wie Raucher diskutiert. Das klingt mehr nach Krisenbewältigung denn nach Krisenprävention.

Nowak: Ich wäre mit so einem Urteil vorsichtiger - vielleicht auch deshalb, weil ich viel mit den Institutionen des Bundes zu tun habe. Tatsächlich werden auch einige Maßnahmen mit präventivem Charakter umgesetzt. Etwa die Frage, wie in Großküchen und Kantinen gekocht wird, wo es mittlerweile die Möglichkeit gibt, auch vegetarisch oder zumindest kalorienarm zu essen. Genug wird sicher nicht getan, wobei gerade im Ernährungskontext noch relativ viel passiert.

derStandard.at: Sie sprechen von einer Gesundheitsgesellschaft, in der Gesundheitsentscheidungen zunehmend an das Individuum delegiert werden. Welche gesundheitspolitischen Entscheidungen müssten getroffen werden, um den Einzelnen von seiner alleinigen Gesundheitsverpflichtung zu entlasten? Gesundheit wird ja nicht nur von endogenen, sondern auch von exogenen Faktoren beeinflusst, etwa der Gestaltung des Arbeitsplatzes oder der Feinstaubbelastung durch Verkehr und Industrie.

Nowak: In Österreich wird das am stärksten unter dem Titel "Gesundheitskompetenz" oder "Health Literacy" diskutiert. Hier geht es um die Frage, wie viele Möglichkeiten der Aufarbeitung von gesundheitsbezogenem Wissen die Bevölkerung braucht. Daran gekoppelt ist zudem die Frage, wie gut auffindbar und lesbar die angebotenen Gesundheitsinformationen sind. Etwa in einem Krankenhaus: Wie gut sind die Orientierungssysteme, und findet sich der Einzelne dort zurecht?

Zudem braucht es eine Entwicklung von Informationssystemen, die leicht zugänglich und verständlich sind - und das noch dazu für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen. Das Bildungsbürgertum wird unter Zugänglich- und Verständlichkeit nämlich etwas ganz anderes verstehen als ältere Migranten und Migrantinnen.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist "Selbstbestimmung". Wenn Menschen ihr Leben als handhabbar empfinden, einen Sinn in ihrem Tun sehen und das Ganze noch als selbstbestimmt erleben, ist das förderlich für die Gesundheit.

derStandard.at: Besteht derzeit die Gefahr, dass uns genau diese Selbstbestimmung abhandenkommt?

Nowak: Es stimmt, die Selbstbestimmung der Patienten ist nicht selbstverständlich - etwa in Fragen, ob Patienten auf ihre eigenen Gesundheitsdaten zugreifen oder eine Behandlung verweigern dürfen. Prinzipiell ist das alles verfassungsmäßig gut geregelt, aber in der wirklichen Interaktionssituation mit einem Arzt fällt es vielen schwer zu sagen: "Nein, ich mag das nicht, Herr Doktor", und damit diese Art von Selbstbestimmung aufrechtzuerhalten. Zentral ist hier die Kultur der Gesprächsführung von Gesundheitsprofis - und die ist, wie Studien gezeigt haben, in Österreich besonders schlecht.

derStandard.at: Was heißt das konkret?

Nowak: Die Ärzte werden von den Patienten nicht verstanden. In einem Acht-Länder-Vergleich ist Österreich im Gesamtindex an siebenter Stelle, was nicht wirklich toll ist. In allen Kommunikationsvariablen befinden wir uns sogar an der letzten Stelle. Das heißt, da fehlt es an einer Gesprächskultur, da gibt es ein massives Kommunikationsproblem zwischen Ärzten und Patienten.

Ein Grundelement der Selbstbestimmung ist aber das "Verstehenkönnen". Das heißt, das Verstehen einer Therapie oder der eigenen Erkrankung ist der Ausgangspunkt, um überhaupt gesund werden zu können. (Günther Brandstetter, derStandard.at, 5.2.2014)