Treu oder untreu, lautete die Frage, die der OGH im Verfahren gegen das frühere Libro- Management beantworten musste: Die Sonder- dividende war doch Untreue, entschied das Höchstgericht. Ein desaströses Fehlurteil, meint dieser Rechtsexperte.

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Juristen hatten sich von der jüngsten parlamentarischen Enquete über den § 153 StGB zum Untreuetatbestand und dessen praktische Handhabung viel erwartet - und wurden zumeist enttäuscht. Zwar signalisierte der neue Justizminister Wolfgang Brandstetter, dass er entgegen der vorherrschenden Meinung unter seinen Experten nicht überzeugt ist, dass kein Novellierungsbedarf besteht. Auch Ex-OMV-Chef Richard Schenz artikulierte das Unbehagen der Praxis gegen einen unpräzisen und ausufernden Tatbestand. Und Strafrechtler Helmut Fuchs bot eine kompetente Bewertung der einschlägigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs. Doch dann wurde nur noch der Ist-Zustand gelobt und jede kritische Selbstreflexion ausgeblendet.

Eine kritische Auseinandersetzung mit den vielen überlangen Ermittlungsverfahren war von der Leiterin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Ilse-Maria Vrabl-Sanda, nicht zu erwarten. Der OGH-Senatspräsident Kurt Kirchbacher erweckte überhaupt den Eindruck, mit § 153 StGB könnten nur von vornherein Schuldige in Konflikt geraten. Es handle sich, so der Referent wörtlich, ausnahmslos um "No-Go-Fälle", bei denen "jeder im Saal" eine Verurteilung befürworten würde.

Die umstrittene Styrian-Spirit-Entscheidung verteidigte Kirchbacher freilich zu Recht als auf der bisherigen Judikaturlinie liegend. Nur ein teilnehmender Journalist stellte die sich nicht bloß für Nichtjuristen aufdrängende Frage, warum denn bei Styrian Spirit eigentlich nur die Vertreter des Kreditgebers, nicht aber die des Kreditnehmers strafrechtlich belangt worden seien.

Dabei ließe sich aus der Sicht des Rechtspraktikers anschaulich erklären, worin das Unbehagen der Praxis mit der Untreue tatsächlich besteht. Dieses resultiert nicht primär aus dem in der Tat sehr weit und unbestimmt gefassten Tatbestand, sondern ist Ergebnis einer Gemengelage von rechtsstaatlich bedenklichen Faktoren.

Deutscher Schwenk

So lässt sich an der Rechtsprechung des OGH sehr wohl einiges kritisch hinterfragen. Man muss nicht so weit gehen wie der Strafrechtler Peter Lewisch und Kredituntreue nur bei der Vergabe an praktisch insolvente Kreditnehmer anerkennen, doch wird mit dem Schädigungsvorsatz teils eher großzügig umgegangen. Orientiert man sich an Äußerungen von OGH-Präsident Eckart Ratz, dann könnte der OGH überdies demnächst den - nicht nachahmenswerten - Schwenk des deutschen Bundesgerichtshofes vollziehen und in Bestechungskonstellationen Untreue annehmen, wo der Machthaber den Machtgeber nicht schädigen, sondern ihm einen Vorteil verschaffen will.

Schließlich zeigt das brandaktuelle Libro-Urteil des OGH, dass die von Kirchbacher (zu Recht) beschworene Zivilrechtsabhängigkeit des Untreuetatbestandes im Höchstgericht keineswegs unumstritten ist. Sämtliche Untreue-Schuldsprüche hätte der OGH nämlich aufheben müssen, wenn er das beachtet hätte, was Fuchs auf dem Podium zutreffend hervorhob: Die Ausschüttung von Dividenden an alle Aktionäre kann niemals Untreue sein, selbst wenn dabei gegen das - anders als die durch § 153 StGB verpönte Schädigung des Machtgebers auch durch Konsens sämtlicher Gesellschafter nicht abdingbare - Verbot der Einlagenrückgewähr verstoßen wird. Denn § 153 StGB schützt nur das Vermögen des Machtgebers, nicht das der Gläubiger. Wenn der Vermögensvorteil allen Aktionären anteilig zukommt, ist das der ex ante erteilten Einwilligung durch sämtliche Anteilsinhaber gleichzuhalten.

Entgegen den Darlegungen des Senatsvorsitzenden in der mündlichen Verhandlung zu Libro steht dem die "Rechtssubjektivität der Aktiengesellschaft" in keiner Weise entgegen und ist es ohne Belang, dass nicht der Fall der Einmann-GmbH vorliegt. Es kann nicht ernsthaft von der Rechtsform des Machtgebers abhängen, ob eine wirtschaftliche Einheit angenommen wird! Der OGH schafft mit diesem (Fehl-)Urteil geradezu desaströse Rechtsunsicherheit.

Defizite im Verfahrensrecht

Zum Unbehagen der Wirtschaftspraxis tragen auch die Defizite im Verfahrensrecht bei. Die mangelnde Überprüfbarkeit der Tatsachengrundlage im schöffengerichtlichen Verfahren ist rechtsstaatlich unerträglich, auch wenn die besseren Gründe dafür sprechen mögen, dass bloß eine Tatsacheninstanz mit Art. 6 MRK noch vereinbar ist. Denn es ist nicht erklärbar, warum in einem 5000-Euro-Zivilprozess der Sachverhalt und die Beweiswürdigung des Erstgerichtes von der zweiten Instanz umfassend überprüft werden können, dort jedoch, wo es um bis zu zehn Jahre Gefängnis geht, der OGH an den fatalen Satz im Ersturteil gebunden ist: "... der Angeklagte wusste (nahm bewusst in Kauf), dass der Kredit nicht würde zurückgezahlt werden können".

Hinzu kommt der formalistische Umgang des OGH mit Nichtigkeitsbeschwerden. Es ist bezeichnend, wenn einzelne Vertreter dieses Gerichtes in "Paukerstunden" für Rechtsanwaltsanwärter immer wieder darauf hinweisen, es gebe "praktisch keinen Anwalt", der eine wirklich gelungene Nichtigkeitsbeschwerde zustande bringe. Wenn dies tatsächlich stimmt, ist etwas am System falsch, denn es sollte in einem Rechtsstaat nicht davon abhängen dürfen, ob jemand mehrere Jahre ins Gefängnis muss, dass der Anwalt des Beschuldigten sein Beschwerdevorbringen den richtigen Nichtigkeitsgründen zuordnet. Im Übrigen ist mir kein Zivilrichter des OGH bekannt, der/die eine ähnliche Einschätzung von sämtlichen Zivilrechtsanwälten in Bezug auf die Verfassung von Berufungen oder Revisionen hat.

Alles in allem gibt es durchaus Handlungsbedarf für den neuen Justizminister, der gerade in diesen Fragen über hohe eigene Fachkompetenz verfügt. (Georg Schima, DER STANDARD, 5.2.2014)