Wien - Ein für Donnerstag geplanter Prozess gegen den Obmann der NGO Asyl in Not, Michael Genner, wird nicht stattfinden. Die Oberstaatsanwaltschaft Wien (OStA) erteilte der Staatsanwaltschaft Wien die Weisung, den Strafantrag zurückzuziehen, gab OStA-Sprecher Michael Klackl am Dienstagabend bekannt.

Die Anklagebehörde hatte Genner das Gutheißen einer mit Strafe bedrohten Handlung im Sinne des Paragrafen 282 Absatz 2 Strafgesetzbuch angekreidet. Er hatte in einem Kommentar zum Thema Fluchthilfe versus Schlepperei Folgendes zu bedenken gegeben: "Vor jedem ehrlichen Schlepper, der saubere Arbeit macht, der seine Kunden sicher aus dem Land des Elends und Hungers, des Terrors und der Verfolgung herausführt, der sie sicher hereinbringt, den Grenzkontrollen zum Trotz, in unser 'freies' Europa, habe ich Achtung. Er ist ein Dienstleister, der eine sozial nützliche Tätigkeit verrichtet und dafür auch Anspruch hat auf ein angemessenes Honorar."

Für eine Staatsanwältin goutierte der Asyl-in-Not-Obmann damit auf eine Art und Weise das Schlepperwesen, die geeignet war, "das allgemeine Rechtsempfinden zu empören oder zur Begehung einer solchen Handlung aufzureizen". Sie brachte ihn zur Anklage. Im Fall eines Schuldspruchs hätten Genner immerhin bis zu zwei Jahre Haft gedroht.

Kritik an Vorgehen gegen Genner

Der dienst- und fachaufsichtsmäßig übergeordneten OStA dürften aber kurz vor dem Prozess Bedenken gekommen sein, ob die inkriminierten Aussagen nicht vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt waren. Zwei Tage vor dem Verhandlungstermin "kassierte" die OStA den Strafantrag, nachdem Genner diesen beeinsprucht hatte - ein äußerst ungewöhnlicher Vorgang, zumal Strafanträge im Unterschied zu Anklageschriften mit dem Einbringen bei Gericht an sich rechtskräftig werden.

"Wir sind nach eingehender Prüfung zur Überzeugung gelangt, dass der angeklagte Tatbestand nicht erfüllt ist", betonte OStA-Sprecher Klackl im Gespräch mit der APA. Genners Stellungnahme sei "eine noch zulässige Kritik an einer Strafbestimmung, nämlich am Schlepperei-Tatbestand". Daher habe man vom Weisungsrecht Gebrauch gemacht.

Der Antrag auf Bestrafung Genners ist damit hinfällig, die Verhandlung im Straflandesgericht wird abberaumt. Mehrere NGOs hatten das Vorgehen der Justiz gegen Genner heftig kritisiert. "Das Verfahren greift tief in verfassungs- und menschenrechtlich garantierte Rechte ein", stellte beispielsweise Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International Österreich, in einer Aussendung fest.

SOS Mitmensch begrüßte in einer Aussendung die Einstellung des Verfahrens: "Die Oberstaatsanwaltschaft Wien hat zu Recht die Reißleine gezogen. Durch ein Verfahren wäre die Meinungsfreiheit in Österreich aufs Spiel gesetzt worden", erklärte SOS-Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak.

Auch das International Press Institute beklagte den Strafantrag gegen Genner und zeigte sich in einer Stellungnahme darüber beunruhigt, dass das Gesetz von den Behörden dazu verwendet werde, eine unwillkommene Sichtweise zu bestrafen. (red, derStandard.at, 4.2.2014)