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Pascal Simbikangwa auf einem undatierten Interpol-Fahndungsfoto.

Foto: AP Photo/Interpol

Pascal Simbikangwa wirkt im Rollstuhl nicht wie ein blutiger Mörder. Der schmächtige, 54-jährige Exoffizier der ruandischen Armee ist seit einem Autounfall querschnittgelähmt. Vor dem Pariser Schwurgericht behauptet er, er habe mit dem Völkermord von 1994, der bis zu 800.000 Menschen das Leben kostete (siehe Wissen unten), "nichts zu tun gehabt". Die Anklage wirft ihm auch keine direkte Beteiligung an den Massakern vor, sondern die Anstiftung der Hutu-Hitzköpfe; über den Radiosender Mille Collines soll er offen zum Abschlachten der Tutsi-Minderheit im Land aufgerufen haben.

Die Überlebende Dafroza Gauthier nennt Simbikangwa "einen (Heinrich) Himmler von Kigali". Zusammen mit ihrem französischen Ehemann Alain Gauthier kämpfte sie jahrelang für diese Gerichtsverhandlung. Ohne ihren Einsatz säße Simbikangwa heute nicht auf der Anklagebank - und Frankreich könnte weiterhin die Augen verschließen vor seiner eigenen Rolle.

Im Bemühen, die vom anglofonen Uganda unterstützten Tutsi zu kontern, hatte Paris die ruandische Armee ab 1990 ausgebildet und den frankofonen Hutu-Milizen Waffen geliefert. Im April 1994 begann der Genozid an den Tutsi. Zweieinhalb Monate später lancierte Paris die "Opération Turquoise"; doch sie erlaubte Hutu-Milizionären auch, in den Sicherheitszonen Unterschlupf zu finden oder sich ins Ausland abzusetzen. 1998 attestierte ein französischer Untersuchungsbericht der Regierung Schuldlosigkeit. Ruanda brach die diplomatischen Beziehungen vorübergehend ab. Der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy räumte 2010 "Irrtümer" ein, lehnte aber jede offizielle Entschuldigung ab.

Der Prozess gegen Simbikangwa zeugt von einem Umdenken: "Allzu lange hat die lethargische französische Justiz ihre Verpflichtungen vernachlässigt", sagte Patrick Baudouin von der Menschenrechtsliga FIDH zum Prozessauftakt. "Nachdem sich die Politik langsam geändert hat, stellt dieser Gerichtsfall eine Wende dar." Baudouin bezieht sich auf die neue Afrikapolitik von Präsident François Hollande. Seine Militäreinsätze in Mali und Zentralafrika sollen aufzeigen, dass in Paris nicht mehr Einflussnahme, sondern Hilfe für die afrikanische "Partnerregion" angesagt sei.

Schlechtes Gewissen

Vermutlich spielte nach den tragischen Vorgängen in Ruanda auch eine Prise Schuldbewusstsein mit, wenn Hollande in Zentralafrika so rasch eingegriffen hat. Dort registrierte der französische Geheimdienst schon seit Monaten eine "Prä-Genozid"-Stimmung.

Zwar ist auch dieser Einsatz nicht ganz frei von einer gewissen Ambivalenz: Paris wird verdächtigt, die christliche Politelite des Landes vor den muslimischen Séléka-Milizen zu schützen. Doch obwohl die Lage in der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui keineswegs befriedet ist, haben die französischen Soldaten zuletzt immerhin ein Blutbad verhindert. Verglichen mit dem französischen Verhalten in Ruanda ist das ein Fortschritt für Frankreich - und die betroffenen Zivilisten. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 6.2.2014)