Der eine will mehr Kinder auf Tretrollern auf der Mariahilfer Straße sehen, die andere sorgt sich um die dort ansässigen Unternehmen: Wiens Wirtschaftskammerpräsidentin Brigitte Jank und der grüne Rathaus-Mandatar Christoph Chorherr.

Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Die Wirtschaftskammer war stets in die Verhandlungen rund um die Verkehrsberuhigung der Mariahilfer Straße eingebunden. Dennoch wird die Kritik immer lauter. Wir sind verwirrt, Frau Jank, sind Sie dafür oder dagegen?

Jank: Es gab bereits eine Einigung, von der die Politik wieder abgewichen ist. Daher haben wir schon im Vorjahr eine Befragung in den Bezirken durchführen lassen. Dort kam ganz klar heraus: Die Unternehmer wollen Querungen sowie ausreichende Park- und Haltemöglichkeiten. Wir befragen jetzt noch einmal 1000 Unternehmer, um die Stimmung zu erheben. Viele kämpfen schon jetzt mit massiven Umsatzeinbußen, vor allem in den Seitenstraßen. Eine Hopp-oder-dropp-Frage ist nicht in Ordnung.

Chorherr: Endet die Bürgerbefragung mit einem Ja, wird das Verkehrsprojekt umgesetzt. Bei einem Nein wird der vorherige Zustand wieder hergestellt. Der Souverän entscheidet, in welche Richtung es geht.

STANDARD: Für die Grünen wäre ein Nein zur Mahü ein grundlegendes Nein zu ihrer Verkehrspolitik. Warum dieser Fatalismus?

Chorherr: Dieses Projekt hat auch zu unserer Überraschung eine große Bedeutung bekommen. Die Mahü ist wichtig, aber nicht der Nabel der Welt. Mit der neuen Mahü wird aber das umgesetzt, was uns wichtig ist: mehr Platz für Fußgänger, Verkehrsberuhigung, Raum für Kinder und Familien. Wenn die Befragung mit Nein ausgeht, werden viele dieser Politiken schwieriger. Insofern wird es eine Weichenstellung.

Jank: Die Mariahilfer Straße ist für die wirtschaftliche Entwicklung Wiens extrem wichtig. Sie ist mit Abstand die größte Einkaufsstraße Österreichs und erwirtschaft einen Umsatz von einer Milliarde Euro. Es sind 60.000 Arbeitsplätze damit verbunden. Daher muss man das Thema ernst nehmen.

Chorherr: Das nehmen wir sehr ernst. Wir haben uns in New York, Barcelona, Linz und Graz Projekte angesehen. Überall hat sich gezeigt: Fußgängerzonen haben den anliegenden Geschäften genützt. Derzeit kommen mehr als 90 Prozent der Kunden zu Fuß auf die Mariahilfer Straße. Wenn die Befragung positiv ausgeht, kann sich in fünf Jahren kein Mensch mehr vorstellen, dass dort einmal zweispurig gestaut wurde.

STANDARD: Frau Jank, sehen Sie das auch so positiv?

Jank: Nein. Es geht uns vor allem um die Auswirkungen in beiden Bezirken, wo die Unternehmer bereits Umsatzeinbußen haben. In unserer Umfrage 2013 haben sich 67 Prozent der Unternehmer gegen das neue Verkehrskonzept ausgesprochen, 87 Prozent fordern Querungen.

Chorherr: Haben Sie alle gefragt? Werbebüros, Architekten, Einpersonenunternehmen?

Jank: Ja, wir haben alle unsere Mitglieder befragt, auch die EPUs.

Chorherr: Immer, wenn es um wesentliche Entscheidungen gegangen ist, war die ÖVP dagegen: Museumsquartier, Donauinsel, jetzt die Mahü. Fast frech könnte ich sagen: Die ÖVP war immer auf jener Seite, über die man heute den Kopf schüttelt.

Jank: Sie bleiben die Antwort schuldig, was mit den Betrieben in den Seitengassen passiert. Ich spreche mich nicht generell gegen ein neues Konzept aus. Aber es muss sicherstellen, was Ihnen weniger am Herzen liegt: dass erfolgreiches Wirtschaften möglich ist.

STANDARD: Die Grünen machen die teuerste Werbekampagne außerhalb von Wahlkampfzeiten. Haben die Argumente nicht ausgereicht?

Chorherr: Wenn man uns einen Vorwurf machen kann, ist es der, dass über ein Projekt abgestimmt wird, für das noch niemand ein Gefühl hat. Die Straße ist ja noch als Autostraße ausgestaltet. Sicher wäre es anschaulicher gewesen, erst umzubauen und dann zu fragen. Aber da das eine Chuzpe gewesen wäre, sagen wir, man muss das visualisieren. Diese Kommunikation ist uns bisher nicht so gut gelungen.

STANDARD: Die Wirtschaftskammer hat sehr stark kritisiert, dass die Unternehmer nicht befragt werden. Wer sollte zum Beispiel abstimmen bei Handelsketten, bei Merkur, H&M und so weiter?

Jank: Der Unternehmensvertreter, das ist der Eigentümer oder der Geschäftsführer.

STANDARD: Würde das nicht zerfleddern, wenn ein Rewe-Vorstand dann über die Mariahilfer Straße mitentscheiden würde?

Jank: Es ist für einen Konzern genauso wichtig wie für einen Einzelhändler, dass sich ein Standort richtig entwickelt. Auch große Konzerne gehen weg, wenn der wirtschaftliche Erfolg sich nicht mehr einstellt.

STANDARD: Es gibt divergierende Zahlen. Die Grünen sagen, ein guter Teil der Unternehmer ist ohnehin eingebunden, weil sie im 6. oder 7. Bezirk leben.

Chorherr: Der 6. und 7. Bezirk sind überschaubare Bereiche. Natürlich war eine Überlegung, ob nicht die Geschäftsleute auch abstimmen sollen. Und dann stellt sich die Frage, warum nicht auch die dortigen Arbeitnehmer abstimmen sollen? Egal wo man die Grenze zieht, man setzt sich der Kritik einer gewissen Willkür aus. Wir haben gesagt, am klarsten ist, es sind jene stimmberechtigt, die es auch bei Bezirksvertretungswahlen sind.

Jank: Man hätte ganz klar sagen können, dass man auch die Unternehmen in den Bezirken einbindet. Ich verstehe nicht, warum Sie das nicht wollten. Natürlich wäre uns auch die Einbindung der Arbeitnehmer recht gewesen.

Chorherr: Das ist eine legitime Diskussion, das muss man sich demokratiepolitisch überlegen.

STANDARD: Welchen Wert hat die Befragung für die Wirtschaftskammer, wenn Sie aus Ihrer Sicht zu eng gefasst ist?

Jank: Für mich ist entscheidend: Macht man das Richtige aus der Sicht der Unternehmerschaft? Wer nicht versteht, dass unsere Gesellschaft ohne Unternehmer nicht funktioniert, hat das System Wirtschaft nicht verstanden.

Chorherr: Frau Jank, Sie unterstellen jetzt, dass wir das nicht verstehen? Wir glauben, dass diese Maßnahme Unternehmen nicht behindert, sondern fördert. Wir sagen aber auch, dass diese Entscheidung nicht aus nur Sicht der Unternehmervertretung gesehen werden kann, sondern auch aus der Sicht von Familien. In Zukunft könnten Kinder auf der Mariahilfer Straße mit dem Tretroller rumfahren. Hier sind wir die Familienpartei, nicht die ÖVP.

Jank: Ich habe mich nie gegen eine Fußgängerzone ausgesprochen. Wichtig ist, dass Betriebe überleben können und nicht absiedeln.

STANDARD: Zum Schluss würden wir gern eine Prognose hören: Wie geht die Bürgerbefragung aus?

Jank: Ich gebe keine Prognose ab. Warum soll ich das tun?

STANDARD: Weil uns Ihre Einschätzung interessiert.

Jank: Ich kann Ihnen sagen, wie unsere Unternehmerbefragung ausgeht: dass es Querungen braucht und dass man gegen das derzeitige Verkehrskonzept stimmen wird.

Chorherr: Ich gebe natürlich eine Prognose ab. Es wird mit 52,5 Prozent dafür ausgehen, weil ich glaube, dass eine Mehrheit der Bezirksbewohner nicht möchte, dass der Lebensraum Mariahilfer Straße wieder verlorengeht. (Andrea Heigl, David Krutzler, DER STANDARD, 6.2.2014)