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Wer braucht mehr zum Leben? Kolosseum, Michelangelo, Ramazzotti, Benigni und Co.

Foto: AP (4), EPA (5), Reuters (2), dpa; Montage: Seywald

Wien - Die "göttliche Komödie" als Ausweg aus der finanziellen Tragödie. Italiens Rechnungshof wirft den Ratingagenturen vor, die Krise in Italien 2011 und 2012 unnötig verschärft zu haben und droht mit Milliardenstrafen. Denn S&P, Moody's und Fitch hätten die kulturellen Reichtümer Italiens bei ihren Einschätzungen nicht gewürdigt. Dabei sei Italiens Geschichte, Kunst und die Landschaften "die Basis des wirtschaftlichen Erfolgs", argumentiert Angelo Raffaele De Dominicis, Prüfer bei Italiens Rechnungshof.

Statt die Göttliche Komödie von Dante Alighieri zu lesen oder Michelangelos David zu bewundern, hätten die Analysten zu viel Wert auf wirtschaftliche Kennzahlen gelegt und mit ihren Kreditherabstufungen einen Milliardenschaden verursacht. In einem Brief an die drei Ratingagenturen Standard & Poor's, Moody's und Fitch schreibt er von möglichen Schadenersatzforderungen von bis zu 234 Milliarden Euro. Offiziell will der italienische Rechnungshof die Zahlen nicht bestätigen. Es finden Vorerhebungen statt, heißt es aus Rom. Zwei Wochen haben die Bonitätsprüfer Zeit, Stellungnahmen abzugeben. Sprecher der Agenturen weisen die Vorwürfe zurück.

S&P nennt die Anschuldigungen "unseriös und haltlos", bei Fitch und Moody's spricht man von "unbegründeten" Vorwürfen. Doch der italienische Fall zettelt auch noch eine andere Diskussion an: Was ist der richtige Maßstab dafür, ob ein Staat finanziell solide ist? Traditionell ziehen Analysten die Schuldenquote heran, die Schulden eines Staates relativ zur Wirtschaftsleistung der Volkswirtschaft. Das ist der Ausgangspunkt der Prüfer, doch erlässt anderes außer Acht: Stehen den Schulden auch Vermögenswerte - etwa Anteile an Unternehmen - gegenüber? Verschuldet sich der Staat im Ausland oder bei der heimischen Bevölkerung? Diese Fragen fließen zwar in die Ratings ein, Ausgangspunkt bleibt aber die Schuldenquote.

Bevorzugte Bonität

Dabei haben zuletzt eine Reihe von Studien nachgewiesen, dass die Entscheidungen der Bonitätsprüfer nicht ausschließlich der ökonomischen Logik folgen. Andreas Fuchs, Ökonom an der Universität Heidelberg, hat jüngst in einer Studie gezeigt, dass die Agenturen voreingenommen sind. Sie bevorzugen die Länder, in denen sie beheimatet sind, sagt Fuchs. Für die großen US-Agenturen heißt das, dass die Schulden des US-Treasury gut wegkommen - relativ zum hohen Schuldenstand. Doch Fuchs geht weiter: "Auch Länder, die sprachlich oder kulturell ähnlich zu den Heimatmärkten sind, werden bevorzugt."

Manfred Gärtner, Professor an der Universität St. Gallen, hat mit Kollegen eine andere Frage untersucht: Verschlimmern Ratingagenturen mit ihren Entscheidungen Krisen? Die Schlussfolgerung der Forscher in St. Gallen: "Ratingagenturen haben die Macht, Länder mit hohen Schuldenquoten in Probleme zu stürzen." Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) warnte in Arbeitspapieren vor den Folgen der Ratingentscheidungen.

Auch in den USA wird aktuell ermittelt, allerdings in eine andere Richtung. Das Justizministerium hat 2013 gegen S&P eine Klage eingebracht: Der Schadenswert beträgt fünf Milliarden Dollar. In diesem Fall soll die Agentur nicht die Panik gefördert haben, sondern Risiken verschwiegen haben. Tausende Milliarden an komplexen Hypothekenpapieren wurden vor der Krise mit Bestnoten bewertet, nur um nach 2007 Pleite zu gehen und die Krise zu verstärken. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 6.2.2014)