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Die Regierung von Recep Tayyip Erdogan verschärft die Internetzensur.

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Bereits im Jahr 2011 demonstrierten Türken in Istanbul gegen Einschränkungen im Netz.

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Ankara - Mit einem umstrittenen Gesetz verschärft die Türkei die Kontrolle des Internets. Das Parlament nahm in der Nacht auf Donnerstag einen Gesetzesvorschlag der islamisch-konservativen Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan an, der die Telekommunikationsbehörde (TIB) ermächtigt, Webseiten auch ohne richterlichen Beschluss zu blockieren. Zudem sollen Internetanbieter verpflichtet werden, Nutzerdaten für zwei Jahre zu speichern. 

Die Regierung argumentiert, das neue Gesetz trage zum Schutz von Persönlichkeitsrechten im Internet bei. Ein Abgeordneter von Erdogans Regierungspartei AKP begründete das Vorhaben mit dem Schutz von Familien, Kindern und Jugendlichen vor Inhalten, "die Drogenkonsum, sexuellen Missbrauch und Selbstmord befördern". Die AKP verfügt über 319 der 550 Stimmen im Parlament.

Warnung aus dem Ausland

Oppositionelle sagen dagegen, das Gesetz solle Kritik unterbinden und gebe der Regierung die Macht, willkürlich über die Sperrung von Inhalten zu entscheiden. Hasan Ören von der Oppositionspartei CHP warf der Regierung Faschismus vor. Aus dem Ausland wurde Erdogan gewarnt, das Vorhaben bedeute einen Eingriff in die persönlichen Freiheiten der Bürger.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) warnte, dass die weitreichenden neuen Rechte der TIB dazu führen, dass Kommunikationsdaten von Internetnutzern ohne jegliche rechtliche Einschränkung gesammelt werden könnten und die Nutzer nicht wüssten, wann und wie das geschehe. Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen erklärte, Ziel der Maßnahmen seien "verstärkte Webzensur, Regierungskontrolle des Internets und Überwachung". Auch der türkische Unternehmerverband kritisierte, dass das Gesetz mit der Gewaltenteilung in Konflikt stehe und der Zensur Vorschub leiste.

EU-Kommission besorgt

Die EU-Kommission hat das Gesetz zur Kontrolle des Internets scharf kritisiert. "Dieses Gesetz ruft hier ernsthafte Besorgnis hervor", sagte der Sprecher von EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle am Donnerstag in Brüssel. "In seiner jetzigen Form führt das Gesetz mehrere Einschränkungen für die Meinungsfreiheit ein." Als Kandidat für einen EU-Beitritt müsse die Türkei das Gesetz ändern und europäischen Standards anpassen.

Bereits unter dem derzeit geltenden Internetgesetz können Webseiten relativ einfach gesperrt werden, allerdings nur mit Gerichtsbeschluss. Betroffen waren bisher die Blog-Plattform Wordpress und die Videoportale Dailymotion und Vimeo. Youtube war bis 2010 sogar zwei Jahre lang gesperrt.

"Unruhestifter" Twitter

Auf dem Höhepunkt der Proteste gegen den autoritären Regierungsstil Erdogans im Sommer vergangenen Jahres waren hunderte Aktivisten festgenommen worden, die im Internet zu Demonstrationen aufgerufen hatten. Da regierungsnahe Medien über die Demonstrationen zeitweise kaum oder nicht berichtet hatten, waren soziale Medien zum wichtigsten Kommunikationskanal der Protestbewegung geworden. Erdogan kritisierte den intensiv genutzten Kurzbotschaftendienst Twitter als "Unruhestifter".

Erdogan und seine Regierung sind in den vergangenen Monaten wegen der Verfolgung von Journalisten und Internetaktivisten international verstärkt unter Druck geraten. Die Türkei wurde mehrfach davor gewarnt, Reformen der vergangenen Jahre rückgängig zu machen. Die Opposition wirft der Regierung vor, persönliche Freiheiten und Bürgerrechte immer weiter einzuschränken.

Erdogan-Gespräche im Netz

Die Türkei wird derzeit auch von einem Korruptionsskandal erschüttert, der Erdogan massiv unter Druck setzt. Mitte Dezember hatte die Justiz zahlreiche Manager und Politiker aus dem Umfeld der Regierung festnehmen lassen. Ihnen wurde die Verwicklung in einen weitverzweigen Korruptionsskandal vorgeworfen.

Erdogan bezeichnet den Skandal als Verschwörung gegen seine Regierung und ließ hunderte Polizisten und Staatsanwälte versetzen. Diese geben ihre Beweismittel nun an die Medien weiter. Die Folge: Zuletzt tauchten im Internet unter anderem aufgezeichnete Telefongespräche von Erdogan und seinen Verwandten auf. (APA/red, derStandard.at, 6.2.2014)