Drei Naseweise, "De Drie Wijsneuzen", von de Gruyter & Thys (2013).

Die Originalbroschüre der Ausstellung "Das Wunder des Lebens" der Nationalsozialisten (1935), illustriert von Herbert Bayer.

Foto: Courtesy Bortolozzi Galerie Berlin; Galerie Swajcer, Antwerpen, und die Künstler

Wien - Museen als Refugien für schöngeistige Flaneure, die sich an Formen und Farben berauschen, das war gestern. Wenn der Rausch allgegenwärtig ist, wenn Katerstimmung herrscht, womit könnte das Museum locken? Mit Lautlosigkeit und Stille - und mit weißer Monochromie als Seelenbalsam.

Das ist die Szenerie, die uns das belgische Künstlerduo Jos de Gruyter & Harald Thys in der Kunsthalle Wien vorsetzt. Lediglich das Plätschern eines Brunnens ist in der Weiß-in-weiß-Installation zu hören. Den Raum haben sie mit 80 Stellwänden rhythmisiert, auf die knapp 400 Zeichnungen geheftet wurden: "Schweigende Zeichnungen" nennen sie diese bedeutungsvoll.

Eine Flucht vor den wilden Bildern da draußen bietet sich allerdings nicht. Denn trotz der Strenge der Struktur, der äußeren Ordnung, die abwechselnd an die nummerierten Tafeln von Aby Warburgs Bildatlas Mnemosyne und den Stelenhain des Berliner Holocaust-Mahnmals denken lässt, herrscht hier Chaos. Die Künstler knallen einem die Bilder um die Ohren, ganz ohne System, ohne Hierarchie; nicht einmal Google könnte einen Suchalgorithmus für so ein schräges Potpourri ausspucken.

Auf Panel 42, erklärt der Audioguide, der mit der lispelnden Computerstimme Bildbeschreibungen des Offensichtlichen liefert, ist links oben "ein totes Tier im Gras liegend" zu sehen. Zum Reh gesellen sich Zeichnungen u. a. von einer Käseplatte und einer Porno-Szene: "Ein Mann hält eine nackte Frau fest, während andere Männer zuschauen und Fotos machen", sagt die Stimme.

Keine Hierarchien also, alles ist gleichwertig. Neben Zeichnungen mit "glatzköpfigen Saxofonisten", "scheuen Tieren mit dickem Fell", "rauchenden Affen mit Pistole", tauchen auffällig viele Szenen aus einschlägigen Magazinen auf. Die Künstler hätten sich, heißt es, für das Zeichnen sechs Wochen in den dunklen Keller zurückgezogen.

Absurdes Pathos

Auf der einen Seite beschwört man Künstlerstereotype wie etwa das zurückgezogen wirkende Genie, auf der anderen produziert man absichtlich höchst dilettantische Zeichnungen. Dieses abwechselnd Pathosvolle und dann wieder Absurde scheint auf der surrealen belgischen Tradition zu fußen: De Gruyter & Thys schaffen - oft im Medium Video - Bühnen für Freak-Charaktere. Sinnhaftigkeit scheint dabei keine erstrebenswerte Dimension zu sein. Umso mehr erstaunt die wie eine Bratpfanne geschwungene Pointe, die de Gruyter & Thys im weißen Rauschen der Selbstberuhigung für den Betrachter parat halten:

Die drei Naseweisen heißen die an Gipsmasken erinnernden Brunnenfiguren aus lackiertem Stahl, die unsere abgehobene Suche nach Ordnung und Hierarchie in dem Wust an Bildern verhöhnen. Die uns auslachen für den Versuch irgendwo ein Narrativ zu entschlüsseln (Schließlich spricht auf der letzten Tafel eine griechische Statue: "Die Zeit ist gekommen?"). Dann kommt der Titel der Ausstellung ins Spiel: Das Wunder des Lebensbezieht sich auf die 1935 eröffnete Propaganda-Schau der Nationalsozialisten, die den Besuchern die "Rassenhygiene" zur Erhaltung des "gesunden Volkskörpers" plausibel machen sollte.

Im Zentrum stand ein gläserner Mensch, dem die White Elements in der Wiener Schau entsprechen. De Gruyter & Thys haben daran haarsträubende Zeichnungen von Organen geheftet. Sie sind ebenso surreal wie Herbert Bayers Gestaltung der Originalbroschüre, in der man etwa von "der Sorge um die Güte des deutschen Menschen" oder "der Familie, in der der ewige Lebenswille selbstschöpferisch wirkt" lesen kann. Ein Chor hat Passagen daraus zur Eröffnung vorgetragen.

White Elements heißen die Herrenmensch-Persiflagen von de Gruyter & Thys: Entstanden sind sie, weil sie in Velden am Wörthersee per Zufall Zeuge einer "Fête blanche" und der sich selbst feiernden Seitenblicke -Gesellschaft wurden. Dieser Bezug ist nicht nur absurd, er ist banal. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 7.2.2014)