Die "Bastarde" sind ihnen wahrscheinlich schon wieder entschlüpft: Seit Wochen hält ein Twitterkonto mit dem ironischen Namen haramzadeler100 – übersetzt: die verbotenen, unreinen Söhne oder Töchter – den türkischen Premierminister und dessen Gefolgsleute auf Trab.
Links zu kompromittierenden Telefongesprächen von Tayyip Erdogan, dessen Tochter Sümeyye und von Geschäftsleuten haben die "Bastarde" dort in die Welt gesetzt. Die Mühle der Korruptionsvorwürfe hielten sie damit in Gang.
Doch auch das neue Zensurgesetz, das die türkische Regierungspartei in der Nacht zu Donnerstag durch das Parlament paukte, hat die "verworfenen Söhne" offenbar nicht verschreckt. Auf dem Twitterkonto, das bereits nicht mehr zu funktionieren scheint, haben sich die Enthüller mit einem Link zu einer Website verabschiedet. Die gibt Hilfe für den schnellen Wechsel von Adressen und Identitäten im Internet. Belastendes Material gegen Erdogan und dessen Regierung wird weiter auftauchen, soll das wohl heißen.
Das neue Internetgesetz ermächtigt die Telekommunikationsbehörde, missliebige Websites innerhalb von vier Stunden zu schließen. Ein Richterentscheid ist dafür zunächst nicht mehr nötig; er muss erst innerhalb der nächsten 24 Stunden nachgereicht werden. Daten von Internetbenutzern und besuchten Websites sollen demnach auch länger – bis zu zwei Jahren – gespeichert werden.
Webfilter seit 2011
Offiziell dient das neue Internetgesetz dem Schutz der Familie und Minderjähriger. Bereits 2011 hatte die türkische Regierung Internetfilter eingeführt. Nach Einwänden von Bürgerrechtlern, der EU und der Medienbeauftragten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurde die Pflicht zur Übernahme eines Filters entschärft. Auf das neue Gesetz reagierte Brüssel am Donnerstag mit deutlichen Worten. In seiner jetzigen Form führe es "mehrere Einschränkungen für die Meinungsfreiheit ein" , sagte der Sprecher von EU-Erweiterungskommissar Štefan Füle: "Dieses Gesetz ruft hier ernsthafte Besorgnis hervor."
Haramzadeler100 haben unter anderem Gespräche türkischer Geschäftsmänner veröffentlicht, die besprechen, wie sie Geld für den Kauf der Zeitung Sabah und des TV-Senders ATV auftreiben. Das soll Erdogan von ihnen verlangt haben. (Markus Bernath aus Istanbul /DER STANDARD, 7.2.2014)