Betrug oder Geheimschrift: das Voynich-Manuskript.

Foto: Beinecke Rare Book & Manuscript Library

Austin/Wien - Reihenweise haben sich Forscher die Zähne an dem geheimnisvollen Voynich-Manuskript ausgebissen. Und doch gibt es immer wieder neue Anläufe, die rätselhaften Schriftzeichen und teils bizarren Illustrationen zu entschlüsseln. Auf 102 Blättern entfaltet sich eine unbekannte Welt aus bunten Pflanzen, astronomischen Darstellungen und seltsamen Frauenfiguren. 1912 fand der US-amerikanische Buchsammler Wilfrid Voynich das Manuskript in einem italienischen Jesuitenkolleg - seither fesselt es Codeknacker aller Art.

Handelt es sich um eine geheime oder künstliche Schrift, einen Hinweis auf den Stein der Weisen oder schlicht um nutzloses Kauderwelsch? Fest steht nur: Das Pergament-Manuskript, das laut einem beiliegenden Schriftstück einst Kaiser Rudolf II. um die hohe Summe von 600 Dukaten erworben hat, muss laut Radiokarbonanalyse zwischen 1404 und 1438 entstanden sein. Heute ist es im Besitz der Beinecke-Bibliothek für seltene Bücher und Manuskripte an der Yale-Universität.

Seit kurzem ist der Spekulationsreigen über den Ursprung des Dokuments um eine Theorie reicher: Arthur Tucker, emeritierter Botaniker von der US-amerikanischen Delaware State University, und Rexford Talbert, ein pensionierter Pentagon- und Nasa-Informatiker, behaupten, Hinweise darauf gefunden zu haben, dass der Text in einem ausgestorbenen Dialekt einer indigenen mexikanischen Sprache verfasst ist.

Ihnen war aufgefallen, dass es Ähnlichkeiten zwischen Pflanzendarstellungen im Voynich-Manuskript und Illustrationen in mexikanischen Werken des 16. Jahrhunderts gibt. So stellten sie große Übereinstimmungen mit Zeichnungen aus dem 1552 erschienen Codex Cruz-Badianus fest - einer Beschreibung von Heilpflanzen, die von den Azteken in Mexiko verwendet wurden. Im botanischen Fachblatt "Herbal Gram" identifizieren die Forscher insgesamt 37 von 303 Pflanzen, sechs Tiere und ein Mineral. Und sie wollen in so manchen Pflanzenbezeichnungen Worte gefunden haben, die auf das Nahuatl, die Sprache der Azteken, und Mixtekisch zurückgehen.

Unbekannter Algorithmus

Ist es möglich, dass das Manuskript aus der Neuen Welt stammt und nicht, wie bisher angenommen, europäischer Herkunft ist? Könnte der Voynich-Code geknackt werden, wenn man die Namen zu den Zeichnungen dekodieren könnte? Zahlreiche Experten sind diesbezüglich sehr skeptisch. "Nur ein paar Wörter wiederzuerkennen ist nicht sehr überzeugend", sagt Andreas Schinner, theoretischer Physiker an der Uni Linz - und ein Freund von Rätseln.

2007 hat Schinner selbst einen Beitrag zur Voynich-Debatte geleistet: Er verglich die Verteilung von Silben und anderen Textteilen mit der anderer Werke, wie der Bibel und "Alice im Wunderland". Seine Schlussfolgerung damals wie heute: "Das Voynich-Manuskript enthält keine linguistische Information. Der Text ist mit einem noch unbekannten 'Algorithmus' erstellt worden." Für Schinner kommen mehrere Motivationen des Autors infrage: "Betrug, die Schöpfung eines Kunstwerkes, ein philosophisches Experiment. Es kann aber auch das Werk eines Savants sein oder von jemandem, der niederschrieb, was ihm Stimmen in seinem Kopf sagten." Die Spurensuche geht weiter. (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 8.2.2014)