Für Impfexperten Jean-Paul Klein zählt die Volksgesundheit.

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Als Verantwortlicher der Volksgesundheit bezeichnet der Mediziner und Impfexperte Jean-Paul Klein das Impfen als eine Art sozialer Verantwortung. Bei der Sechsfachimpfung für Kinder lässt er nicht mit sich diskutieren.

STANDARD: Die Influenza scheint im Anmarsch. Warum ist Österreich eigentlich eine Impfmuffel-Nation?

Klein: Die Durchimpfungsrate für Influenza liegt derzeit bei acht Prozent. Einer der Gründe dafür dürfte wohl sein, dass Hausärzte sie nicht empfehlen. Dabei würde sie älteren Menschen, Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Übergewicht schwere Krankheitsverläufe ganz sicher ersparen.

STANDARD: Immer wieder werden Impfungen als großes Geschäft der Pharmaindustrie gesehen ...

Klein: Ich sehe nirgendwo Werbung für Influenza-Impfungen, eigentlich vermisse ich das Engagement der Hersteller.

STANDARD: Oft heißt es auch, die Influenza-Impfung schütze nicht genügend.

Klein: Mit der derzeitigen saisonalen Grippeimpfung ist man gut gegen die häufigsten Virusstämme geschützt. Von 1000 Geimpften erkranken 700 nicht, man sollte sich das bildlich vorstellen.

STANDARD: Weiß man im Ministerium, wer die Impfgegner sind?

Klein: Die Impfskepsis dominiert in der gut gebildeten Bürgerschicht und ist vor allem in anthroposophischen Kreisen populär. Die Leute informieren sich, stoßen auf Gerüchte, glauben diesen Quellen. Vor allem wissen sie nicht, wie schwer die Krankheiten, gegen die wir impfen, verlaufen können. Sie sehen sie nicht. Auch die Tatsache, dass es gegen Virusinfektionen keine Medikamente gibt, und dass zusätzlich bakterielle Infektionen dazukommen können, ist in der Bevölkerung nicht klar.

STANDARD: Gibt es Masernpartys?

Klein: Offiziell haben wir keine Kenntnis davon. Wenn heute ein HIV-Positiver einen anderen ansteckt, ist das ein Straftatbestand. Ich sehe keinen Unterschied zu Masern.

STANDARD: Wie steht es um die Grundimmunisierung bei Kindern?

Klein: Aus Sicht der Behörde sind wir hier sehr zufrieden. Wir haben Durchimpfungsraten von bis zu 95 Prozent, bei der zweiten Masernimpfung hinken wir nach.

STANDARD: Es gibt viele Vorbehalte. Impfskeptiker haben Angst vor dem in Impfungen enthaltenen Aluminium. Was halten Sie dagegen?

Klein: Zu Aluminium haben wir eine Studie in Auftrag gegeben, die wir demnächst veröffentlichen. Sie bescheinigt dem in minimalen Dosen enthaltenen Aluminium totale Unbedenklichkeit.

STANDARD: Was ist mit dem Argument, die Sechser-Impfung überfordere das Immunsystem?

Klein: Im Sandkasten ist ein Kind wesentlich mehr Erregern ausgesetzt, das kindliche Immunsystem ist in einem Reifungsprozess und dafür gemacht, sich mit vielen Keimen auseinanderzusetzen. Mit der Sechser-Impfung schützen wir jedes Kind gegen sechs schwere Erkrankungen. Wer diesen Schutz für seine Kinder will, hat die Option.

STANDARD: Gibt es in der Impfdebatte eigentlich auch so etwas wie eine differenzierte Ansicht? Also weder Hardcore-Pro noch -Contra?

Klein: Über den Impfschutz gegen Diphtherie, Tetanus, Kinderlähmung, Keuchhusten, Haemophilus B und Hepatitis, alle in der Sechser-Impfung enthalten, lasse ich nicht mit mir diskutieren, über Masern auch nicht. Das sind lebensbedrohliche Erkrankungen ohne kausale Therapie. Bei vielen anderen Impfungen hängt es von den Lebensumständen ab. Ist ein Kind in der Kindergruppe, lebt es mit den Großeltern: Das sind dann individuelle Entscheidungen.

STANDARD: Warum ist aber auch die Masernimpfung kombiniert mit Mumps und Röteln?

Klein: Je weniger Stiche, umso besser die Akzeptanz. Mumps kann bei Männern zu Infertilität führen, Röteln bei Frauen zur Schädigung des Embryos. Beides wollen wir verhindern.

STANDARD: Hier ist die Herdenimmunität Ziel von Gesundheitspolitik. Steht sie nicht im Gegensatz zu individuellen Entscheidungen?

Klein: Als Verantwortlicher für Volksgesundheit sage ich dazu: Herdenimmunität ist eine wichtige Größe. Je mehr Menschen geimpft sind, umso größer ist der Schutz für diejenigen, die es nicht sind. Darum geht es. Insofern ist Impfen eine Art von sozialer Verantwortung.

STANDARD: Inwiefern?

Klein: Insofern, als es in vielen Fällen ja auch um ansteckende Krankheiten geht. Natürlich ist die Entscheidung "Impfen oder nicht impfen" individuell, allerdings kann diese Entscheidung auch Folgen haben, wenn etwa Schulkinder ihre Großeltern anstecken. Influenza ist ein gutes Beispiel.

STANDARD: Was halten Sie von einer Impfpflicht?

Klein: Überhaupt nichts, Zwang ist niemals eine gute Lösung. Wir hoffen, dass Vernunft ein treibender Faktor ist und sich der Gedanke, dass eine Impfung vor schweren Erkrankungen schützt, durchsetzt. (Karin Pollack, DER STANDARD, 8.2.2014)