Die letzte Premiere, der Triumph eines angekündigten Skandals: Thomas Bernhard (li.) und Claus Peymann nehmen den Premierenapplaus für "Heldenplatz" entgegen (4. November 1988).

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Matthias Hartmann.

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Sabine Mitterecker.

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Wien - Nach Thomas Bernhards Tod am 12. Februar 1989 stand die Zukunft seiner Dramen ernsthaft infrage. Erst mit der Gründung der Thomas-Bernhard-Privatstiftung wurden seine Stücke auch in Österreich wieder heimisch. DER STANDARD fragte zwei prominente Theatermacher nach ihrer Einschätzung von Bernhards Bedeutung für das (heimische) Theater der Zukunft.

Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann erbrachte 2009 mit einer zwerchfellerschütternden Lesart von Immanuel Kant seinen Nachweis der Bernhard-Befähigung. Regisseurin Sabine Mitterecker verwandelte den zentralen Frost-Roman in eine faszinierende Installation für Text und Soloschauspieler im Museum für moderne Kunst in Wien (ebenfalls 2009). Prompt wurde sie 2010 mit dem Nestroy ausgezeichnet.

Frage an Hartmann: Hat sich zweieinhalb Jahrzehnte nach Ableben des Autors ein neues Bild des Dramatikers etabliert? Tatsächlich zeigte die Kant-Inszenierung neue Tugenden. Der absurde Witz des Alpen-Beckett wurde mit einem Mal federleicht.

Hartmann: Dass Bernhard nicht mehr da ist, um sich einzumischen, ist vielleicht die größte Erleichterung für die Theatermacher - und zugleich ein noch viel größerer Verlust: Angesichts des sogenannten Akademikerballs konnte man sich doch nur wünschen, Bernhard wäre wieder da und würde hier mit flammendem Zorn Kehraus halten.

STANDARD: Ist der "Unterganghofer" aus Ohlsdorf jetzt freier zu besichtigen, ohne Scharmützel einer überholten Mentalitätspolitik?

Hartmann: Der Blick auf die zeitlos literarische Qualität von Bernhards Werken wird wohl für manchen freier. Dass die, die Bernhard früher schon nicht mochten, ihn heute gerne lesen, wage ich zu bezweifeln. Man muss ja seine Bücher nur aufschlagen, gleich sind all die Wut, Verzweiflung, Trauer - und natürlich der Humor - wieder zurück. Insofern fürchte ich auch nicht, dass Bernhard das, was Frisch "die Wirkungslosigkeit der Klassiker" genannt hat, so bald droht. Auch wenn sich - nach außen hin - heute mancher gerne mit ihm schmückt, der das zu seinen Lebzeiten vermieden hätte.

STANDARD: Gibt es eine Veränderung des "musikalischen Gehalts"? Spielt man Bernhard-Texte heute unbefangener "vom Blatt" als noch in der Uraufführungsära Claus Peymanns in den 1980er-Jahren?

Hartmann: Ich kann mir zwar kaum vorstellen, wie man Bernhard unbefangener vom Blatt spielen kann, als Claus Peymann das getan hat. Eher umgekehrt: Peymann musste erst einmal beweisen, dass Bernhards Stücke auf der Bühne funktionieren. Das müssen wir heute nicht mehr. Was von Bernhard bleibt, ist mehr als nur ein Sound. Sondern eine der wuchtigsten Stimmen des 20. Jahrhunderts.

Sabine Mittereckers Auseinandersetzung zeitigte Jahre vor Frost packende Ergebnisse. Die gebürtige Niederösterreicherin inszenierte Heldenplatz und Am Ziel am Landestheater Linz.

Mitterecker: Die Anfälle öffentlicher Selbsterregung, die sich in Österreich immer wieder an Bernhard entzündet haben, sind ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod verblasst. Interessiert haben sie mich nie. Was von Bernhard bleibt, ist eine Literatur, die inzwischen gut ohne ihre Feinde auskommt. Der Zugang zu seinen Texten - meiner jedenfalls - ist ein musikalischer. Bernhards Musik der gesprochenen Sprache unterbreitet dem Theater Spielangebote noch für viele Jahre. Seine Texte sind Material. Sie bilden einen Vorrat an Formen, der das Theater zwingt, seine Mittel zu prüfen.

STANDARD: Worin besteht die Grundmelodie von Bernhards Werk?

Mitterecker: Sein Denken kreist bis zuletzt um die europäische Katastrophe des 20. Jahrhunderts, die schuldhafte Verstrickung Österreichs darin und deren Nachwirkungen. Heldenplatz bleibt Klagegesang über ein Scheitern der Aufklärung - unabhängig davon, wer gerade das Land regiert. Frost zeigt den verspäteten Einbruch der Moderne in ein physisch und mental vom Krieg zerrüttetes Land. Bernhard schreibt darüber, wie es die Zukunft kostet, sich nicht der Vergangenheit zu stellen. Wenn wir bedenken, wie nah 1914 uns heute erscheint, wird es zu seinem 50. oder 100. Todestag an Texten sicher nicht mangeln. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 12.2.2014)