Der Wanderalbatros: Nur alle zwei Jahre legen die Weibchen ein Ei.

Foto: Ross Wanless

Irgendwo im südlichen Indischen Ozean ist gerade die Sonne aufgegangen. Wasser, so weit das Auge reicht, die nächsten Inseln sind mehr als 1000 Kilometer weit entfernt - vom Festland ganz zu schweigen. Doch in der Luft bewegt sich etwas. Ein riesiger, grauweißer Vogel schwebt gemächlich heran. Seeleute kennen diesen Anblick. Es ist ein neugieriger Albatros, der dem Schiff einen Besuch abstattet. Ohne einen einzigen Flügelschlag gleitet das Tier über die Heckwellen. Segelflug in höchster Vollendung.

Albatrosse sind faszinierende Geschöpfe, perfekt an ein Leben auf hoher See angepasst. Dank ihrer geschickten Nutzung der Luftströmungen können sie enorme Distanzen fast ohne Energieaufwand zurücklegen. Oft zieht es die Vögel für mehrere Monate oder noch länger auf den offenen Ozean hinaus. Ihre Beute, Fische, Tintenfische und Krill, spüren sie in den unendlichen Weiten mittels ihres Geruchssinns auf. Offenbar sind Albatrosse in der Lage, Fischschwärme und andere Ansammlungen marinen Getiers anhand ihrer Ausdünstungen zu orten. Über viele Kilometer hinweg.

Trotz ihrer Fähigkeiten sind die majestätischen Segelflieger selten geworden. Die internationale Artenschutzorganisation IUCN stuft 15 der 22 Albatros-Arten als gefährdet oder vom Aussterben bedroht ein. Und wie bei vielen anderen Arten ist wieder der Mensch schuld. Lange Zeit wurden die Vögel gejagt, unter anderem wegen ihrer Federn. Die Populationen schrumpften rapide.

Inzwischen hat die Jagd praktisch aufgehört, aber das bedeutet keine Entwarnung. Von der größten Art, dem Wanderalbatros (Diomedea exulans) mit seiner Flügelspannweite von bis zu dreieinhalb Metern, gibt es Expertenschätzungen zufolge nur noch rund 20.000 Exemplare. Andere Spezies hat es zum Teil weit schlimmer getroffen. Der Amsterdam-Albatros (Diomedea amsterdamensis) steht mit etwa 100 Überlebenden womöglich kurz vor dem Ende.

Ein wichtiges Hindernis für die Erholung von Albatros-Populationen ist die geringe Fortpflanzungsrate der Vögel. Als typisch langlebige Tiere - einige werden vermutlich über 60 Jahre alt - investieren sie sehr viel Zeit und Kraft in die Aufzucht ihres Nachwuchses. Weibliche Albatrosse der Gattung Diomedea legen alle zwei Jahre nur ein einziges Ei.

Gebrütet wird meist in Kolonien auf entlegenen Inseln. Beide Eltern umsorgen und füttern das Küken. Die Altvögel müssen dazu große Mengen Nahrung aus dem offenen Meer herbeischaffen. "Vom Brutbeginn bis zum Flüggewerden dauert es ein ganzes Jahr, und Eltern, die sich erfolgreich fortgepflanzt haben, brauchen danach Erholung", erklärt Ross Wanless von der University of Cape Town in Südafrika im Gespräch mit dem Standard.

Angriffe auf Nester

Trotz der Fürsorge überleben viele junge Albatrosse nicht bis zur Flugreife. Die hohe Sterblichkeit wird vielerorts vor allem durch eingeschleppte Tierarten wie Katzen oder Ratten verursacht. Auf Gough Island im Südatlantik stellen sogar importierte Hausmäuse eine ernsthafte Bedrohung dar. Ross Wanless hat dieses Problem zusammen mit einigen Kollegen genauer untersucht, wie sie im Fachblatt Biology Letters darlegen.

Die Forscher überwachten nachts Seevögelnester mit Infrarotkameras und machten so eine grausige Entdeckung: Die Mäuse haben offenbar Gefallen an Vogelfleisch gefunden. Das Vorgehen der Nager ähnelt dem Drehbuch eines seltsamen Horrorfilms. Bis zu zehn der kleinen Vierbeiner attackieren gemeinsam das bis zu acht Kilo schwere Küken und fressen es bei lebendigem Leibe an. Der Jungvogel weiß sich nicht zu wehren, während sich die Mäuse durch seine Bauchdecke beißen.

Bei den im Winter auf Gough Island brütenden Tristan-Albatrossen (Diomedea dabbanena) könnte ein Großteil der Küken-Mortalität auf das Konto der karnivoren Nager gehen, berichtet Wanless. In manchen Jahren haben knapp drei Viertel der Brutpaare ihren Nachwuchs verloren. Neueren Beobachtungen zufolge werden im Sommer auch die Jungtiere anderer Albatros-Arten angegriffen. Es wäre sinnvoll, die Mäuse auf Gough Island auszurotten, meinen die Wissenschafter. Ein solches Projekt wäre allerdings sehr aufwändig.

Den erwachsenen Albatrossen droht seit Jahrzehnten ebenfalls Gefahr, und zwar auf hoher See. Viele fallen als Beifang der Langleinen-Fischerei zum Opfer. Beim Ausbringen der Schnüre stürzen sich die Tiere auf die beköderten Haken, bleiben hängen und ertrinken. Bis vor kurzem wurden so jährlich weltweit über 150.000 Albatrosse, Sturmtaucher und andere Seevögel getötet. Die Zahl könnte Fachleuten zufolge auch noch deutlich höher sein. Weit draußen auf dem Ozean schaut man nicht so genau hin. Um das Massensterben zu stoppen, haben Experten jedoch mehrere Gegenmaßnahmen entwickelt.

Wenn der Köder schnell genug absinkt, so die Hauptüberlegung, ist er aus der Eintauch-Reichweite der Vögel verschwunden, bevor diese zuschnappen können. Der Einsatz von mehr Bleigewichten macht deshalb einen Unterschied, erklärt Ross Wanless, der mit seinen Kollegen auch auf diesem Gebiet tätig ist. Dank dieses Ansatzes konnte der ehemals große Albatros-Beifang bei der Tiefwasserfischerei auf Schwarze Seehechte enorm verringert werden. "Dieses Problem ist gelöst", freut sich Wanless.

Vogelscheuchen auf Hochsee

Als viel schwieriger gilt dafür die Beifang-Reduzierung beim Tunfischfang. Die hierfür verwendeten Langleinen werden schwebend im offenen Wasser ausgelegt und können nicht so stark beschwert werden. Doch auch hier lassen sich Lösungen entwickeln, wie Wanless betont. "Wir konnten einige erstaunliche Erfolge erzielen." Die Forscher haben den Einsatz kleinerer Bleigewichte in Kombination mit langen "Schreckleinen" erprobt. Letztere wehen von einem Mast und verscheuchen die Vögel aus der Nähe des Bootes. Die Köder bekommen dadurch mehr Zeit zum Absinken.

Als zusätzliche Maßnahme können die Langleinen nachts ausgebracht werden, wenn die meisten Seevögel ruhen. Laut einer neuen, in der Fachzeitschrift "Fisheries Research" erschienenen Studie können diese Methoden den Vogel-Beifang potenziell auf null senken. Jetzt müssen sie nur noch allgemein umgesetzt werden. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 12.2.2014)