Die britischen Jungdesigner Agi & Sam ließen sich in ihrer jüngsten Kollektion von Kenia inspirieren.

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Foto: Agi & Sam

Mode aus Afrika? Klar, das sind doch diese extravaganten Prints, knallige Farben und schräge Ethnomuster. Regionale Stammeskunst und traditionelles Handwerkskönnen. Fröhlich und authentisch.

Geht es um Afrika, sind die Klischees nicht weit. Dabei ist das Sprechen über "afrikanische Mode" ohnehin so zielgenau, wie von "europäischer Küche" zu schwärmen. Gerade in Sachen Mode zeigt sich nämlich, wie komplex, modern und hybrid dieser riesige Kontinent funktioniert. Wie sehr sich lokale Traditionen, Kolonialismus-Erbe und modernes Selbstverständnis ständig durchkreuzen. Das beste Beispiel dafür: Die heute als typisch afrikanisch wahrgenommenen, industriell gefertigten Batikdruckstoffe, sogenannte Waxprints, kamen erst im 19. Jahrhundert über Indonesien durch die holländische Kolonialisierung nach Westafrika. Ähnlich steht es um die vor allem in Nigeria geschätzten Spitzenstickereien, bei deren Produktion und Vertrieb lange Zeit Firmen aus Vorarlberg prägend waren.

In dem lesenswerten Ausstellungskatalog "African Lace" erzählt ein Mitarbeiter des Vorarlberger Betriebs Lustima, davon, wie er Anfang der 1960er-Jahre begann, afrikanische Stoffmuster zu entwerfen. Weder war der Mann zuvor jemals in Afrika gewesen, noch hatte er sich mit der Kleidungstradition dieser Länder auseinandergesetzt. Trotzdem kamen seine Designs in der nigerianischen Oberschicht extrem gut an, wurden lokal interpretiert und lösten in Lagos, Nigerias pulsierender Modemetropole, einen wahren Hype aus. Die österreichischen Stickereien bieten ein faszinierendes Beispiel für globale Prozesse: Aus Asien importierte Rohstoffe werden auf in der Schweiz hergestellten Maschinen zu exquisiten Luxustextilien verarbeitet, die in der "Nationalkleidung" der Nigerianer eine entscheidende Rolle spielen.

Secondhand

Eigentlich hatte Europa den afrikanischen Textilmarkt praktisch zerstört. Die Hilfslieferungen an Secondhand Kleidung, die aus Europa Ende der 1980er-Jahre bis Mitte der 1990er-Jahre nach Westafrika geschickt wurden, zersetzten eine florierende Textilwirtschaft vor Ort. Gut gemeint ist eben doch nicht immer gut durchdacht. Seit 2001 hat Nigeria den Import von Secondhand-Kleidung verboten. Nigeria ist heute eines der zentralen Länder eines im Grunde modeverrückten Kontinents.

In den letzten Jahren ist aber nicht nur in Afrika ein neues Selbstbewusstsein in Sachen Mode entstanden, die zahlreichen Fashion Weeks, die regelmäßig von Lagos bis Dakar stattfinden, touren mittlerweile mit großem Erfolg durch Europa und Amerika. Afrikanische Designer vereinen europäische Traditionen mit den Einflüssen aus ihrer Heimat. Die theatralischen Entwürfe der Nigerianerin Buki Aki etwa, die in London studiert hat, sorgen für einen interessanten Mix aus traditionellen Strickmethoden mit urbaner Coolness.

Die Modewelt wird zunehmend globaler - afrikanisches Design ist längst Teil des zeitgemäßen Fashion-Lexikons, sagt die britische Journalistin Helen Jennings, die das Buch New African Fashion herausgegeben hat. Niemand führt "Black Consciousness" in Sachen Mode eleganter vor als die amerikanische Präsidentengattin und Stilikone Michelle Obama, die vor allem die femininen Entwürfen von Maki Oh und Duro Olowu (beide aus Nigeria stammend) regelmäßig vor Kameras zur Schau stellt.

Exotik als Inspirationsspritze

Afrika stand in der Mode lange für Exotik. Als der in Algerien geborene Designer Yves Saint Laurent 1967 seine Afrika-Kollektion vorlegte - in die zarten Kleider waren Muscheln und Holzstückchen geflochten -, schwärmte das US-Modemagazin Harper's Bazaar, er offenbare die "Fantasie eines primitiven Schöpfergeistes". Eine Formulierung, die einem heute natürlich unangenehm aufstößt. YSL öffnete jedoch ein Tor: Jede neue Generation an Designern arbeitete sich seitdem am Afrika-Thema ab, manche freilich innovativer und reflektierter als andere. Schulterpolster-König Thierry Mugler schickte für seine Sommerkollektion 1985 das schwarze Supermodel Iman mit einem lebenden Affen und einem riesigen echten Strohschirm auf den Laufsteg. John Galliano ließ in seiner ersten Schau für das Modehaus Dior 1997 halbnackte perlenbesetzte Schönheiten auftreten - während Jean Paul Gaultier 2005 seine Models gigantische Afro-Perücken balancieren ließ.

Die Liste jener Designer, die sich aus Afrika Inspiration oder Materialien holten, ist endlos. Sie reicht von der H&M-Gastkollektion des italienisches Labels Marni, das 2012 die ostafrikanische Stoffart "Kitenge" verwendete, bis zur französischen Luxusmarke Louis Vuitton, die 2012 den bekannten Shuka-Massai-Stoff zu cooler, urbaner Herren-Sommermode verarbeitete. Der deutsche Modequerkopf Bernhard Willhelm setzt in seinen anarchischen Entwürfen schon lange auf afrikanische Einflüsse. Und die gerade sehr gehypten britischen Jungdesigner Agi & Sam, bekannt für tolle Prints, präsentierten jüngst in ihrer Herbst/Winter-Kollektion für 2014/15 großflächig karierte Stoffe, wie sie in Kenia verwendet werden.

Handmade with Love

Afrika ist das nächste große Ding in der Modewelt, prophezeit die britische Fashionkritikerin Suzy Menkes. Sie schlägt dabei eine überraschende Brücke. "Was verbindet Italien und Kenia in Sachen Mode?", fragte sie 2012 in der International Herald Tribune: "Die Antwort: die spezifischen handwerklichen Fähigkeiten". Der wahre Luxus des 21. Jahrhunderts, so Menkes, sei die Liebe zur Handarbeit, die emotionale Verbindung zwischen einem Produkt und dem, wie es hergestellt wird. Oder wie es Fashion-Queen Vivienne Westwood formulierte: "Handmade with Love" nannte sie ihre 2011 in Nairobi produzierten Taschen.

Mit Westwood kehrte eine Selbstinszenierung zurück, die man eigentlich bereits als obsolet empfunden hatte: der Modemacher als Weltverbesserer. Ethno und Ethik als siamesische Zwillinge. "This is not charity, this is work", verkündete die ehemalige Punk-Designerin Westwood, die afrikanische Fraueninitiativen unterstützte und sich als "Green Warrior" inszenierte. Von "No Future" zur "grünen Zukunft". Der Fotograf Jürgen Teller, der Westwood als Alien in Nairobis Slums inszenierte, meinte stolz im deutschen Wochenblatt Die Zeit, "dass sie beide Teil von etwas Gutem" gewesen seien und "nicht solche Fashion-Idioten".

Luxus mit gutem Gewissen

Natürlich macht es Sinn, lokale afrikanische Kleinbetriebe mit Aufträgen zu versorgen, die fair bezahlt sind. Trotzdem mutet es mitunter zynisch an, dass ausgerechnet in den ärmsten Regionen der Welt, ein neuer Luxusbegriff generiert wird, über den die teuersten High-Fashion-Labels, mit gutem Gewissen einen Riesengewinn machen. Letztendlich ist es mit "grüner Mode" nicht anders als mit biologischer Ernährung: In beiden Bereichen steht die Romantisierung von Arbeit und Arbeitsbedingungen gerade hoch im Kurs. "Mode wird aktuell nicht nur zur Umweltaktivistin und Produzentin sozialer Gerechtigkeit erklärt, sondern auch zur Trägerin von Emotionen wie Vertrauen oder Tugenden wie der Ehrlichkeit", sagt die Modeexpertin Elke Gaugele, Professorin an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Mit der Finanzkrise 2007/08 stieg im Westen der Wunsch, ein Gesicht zum Produkt mitgeliefert zu bekommen, etwas, an das man glauben konnte.

Dass es auch anders geht, als glückliche Arbeiterinnen zu zeigen, bewies jüngst der amerikanische Modemacher Rick Owens. Für seine Frühjahr/Sommer-Schau 2014 schickte er afroamerikanische Studentinnen auf den Laufsteg, die energisch auf die Bühne stampften und den üblichen Modelmaßen widersprachen. Seine tapferen Fashion-Kriegerinnen blickten wütend auf die überraschten Zuschauer, die den üblichen Kuschelkurs erwartet hatten. Owens vieldiskutierte Schau bewies, dass die angepasste Modewelt durchaus Sehnsucht nach ein bisschen Aggression hat. (Karin Cerny, Rondo, DER STANDARD, 14.2.2014)