
Eric Fischl in der Wiener Albertina vor zwei seiner typischen Strandszenen: ohne Titel beide, von 1998 das linke, von 1987 das rechte Bild, beide Öl auf Chromecoat.
Wien - Leicht- und/oder nichtbekleidete Männer und Frauen am Strand, in unterschiedlichen Konstellationen, miteinander schweigend, aneinander desinteressiert, voneinander fasziniert, ineinander verschlungen, dem voyeuristischen Blick des Künstlers und in weiterer Folge des Betrachters anheimgestellt. Er sei, erklärt der 65-jährige New Yorker denn auch seine Arbeitsweise, wie ein Paparazzo: "Meist kenne ich niemanden auf den Bildern. Ich fotografiere sie und collagiere dann verschiedene Szenen zu einem Bild." Manche von Fischls Kritikern bezeichnen seine malerischen Schnappschüsse aus und von der Mitte der Gesellschaft als "wohlkalkulierte Skandale".
Überhaupt: Kritiker und Künstler, eine oft durch Miss- und Unverständnis getrübte Beziehung. Davon erzählt gleich zum Auftakt der Fischl-Retrospektive in der Albertina die großformatige, fünfteilige Collage The Critics aus dem Jahr 1979. Herr und Frau Kritiker im strammen Business-Outfit, Aktentasche und Schreibblock in der Hand, blicken auf den Künstler hinab - oder an ihm vorbei? -, der vor seiner unfertigen Skulptur kauert, mit dem Rücken zum Betrachter, Hammer und Meißel umklammernd und zum Kritikerpaar aufschauend.
Wegen eines medialen Wirbelsturms, er würde das Leid der anderen ausnützen, nur um seine eigene Karriere voranzutreiben, wurde Fischls Skulptur Tumbling Woman, die er am ersten Jahrestag von 9/11 im New Yorker Rockefeller Center aufstellte, schon nach zwei Tagen wieder abmontiert. Eine kleinere Version dieser Taumelnden Frau ist nun in einem eigenen Raum in der Albertina ausgestellt, an den Wänden 16 zarte, hauchfarbige, flüchtige Aquarelle stürzender, schwebender, taumelnder Körper, wie Notenblätter einer Todessymphonie.
STANDARD: Hat Sie der Wirbel wegen dieser Skulptur überrascht?
Fischl: Natürlich! Ich hoffte naiverweise sogar, sie würde Teil eines großen Memorials werden. Das wird sie ja wohl nie. Tatsache ist: Tausende Menschen starben bei dem Unglück, wir sahen sie aus den Fenstern springen. Aber Sinnbild für das Leid, für unseren Schmerz und unser Entsetzen wurden die eingestürzten Türme. Wen kümmert die Architektur?! Bauwerke können ersetzt werden, Menschen nicht. Mir ging es um das Verschwinden all dieser Menschen aus unserem Bewusstsein. Das mag damit zusammenhängen, dass wir Amerikaner den Tod verdrängen, wir können mit diesem Thema nicht umgehen. Also schweigen wir lieber.
STANDARD: Auffallend ist, dass in Ihren Papierarbeiten die Figuren keine Gesichter haben. Warum?
Fischl: Weil sie viel unmittelbarer entstehen, zehn, fünfzehn Minuten, dann muss es entweder passen - oder weg damit! Aquarelle kann man, anders als Malerei, nicht mehr korrigieren. Es ist ein Grenzbereich zwischen Kontrolle und Zufall: Die Farbe ist nur ein Klecks und gleichzeitig eine Hand. Es geht bei den Aquarellen nicht, wie bei Ölbildern, um bestimmte Personen, der Fokus liegt viel mehr auf der Körpersprache.
STANDARD: Als Sie zu malen begannen, waren Minimalismus und Konzeptkunst angesagt. Das hat Sie nie interessiert?
Fischl: Als Student versuchte ich mich in der Art Kandinskys. Aber ich fühlte mich gefangen, ich hatte keine abstrakte Vorstellungskraft. Als ich mit figurativer Malerei begann, fühlte ich mich keineswegs gefangen. Sondern ich wollte den ganzen Tag erzählen! Ich hatte so viel zu sagen.
STANDARD: An Schreiben haben Sie da nie gedacht?
Fischl: Das würde voraussetzen, dass man die Wahl hat. Aber man hat sie nicht. Man kann in vielen Dingen schlecht sein, aber nur in einer gut. Ich habe glücklicherweise herausgefunden, was das bei mir ist. Malerei ist die Art, wie ich Information organisiere und strukturiere. Und ich mag das Gefühl und das Geräusch, wenn ich mit dem Pinsel über die Leinwand streiche. Ich mag die Konsistenz und den Geruch der Farbe. Ich mag, dass sich mein Körper bei der Arbeit bewegen muss. Meine Stärke ist mein Auge, was und wie ich sehe. Und ich trainiere mich, immer mehr zu sehen. Manchmal sehe ich Dinge, die schmerzhaft sind. Dennoch bin ich dankbar, dass ich sie sehen kann. Ich liebe Sehen, Fühlen, Berühren.
STANDARD: Deshalb auch die Skulpturen?
Fischl: Ich weiß, ich bin kein Meister der Skulptur. Aber ich liebe die Verwandlung von Wachs zu Gips zu Bronze. Manchmal kann ich nicht sehen, was ich gerade modelliere. Aber die Hand hat eine unauslöschliche Erinnerung, du weißt, wie sich der Rücken, der Hintern einer Frau anfühlt. Wenn du einen Arm formst, erinnert sich deine Hand an jeden Arm, den sie je berührt hat.
STANDARD: Sie malen häufig eine privilegierte Mittelklasse-Freizeitgesellschaft, am Strand, beim Nichtstun, beim Flirten, beim Sex. Verstehen Sie Ihre Malerei als Gesellschaftskritik?
Fischl: Nein, ich zeige nicht mit den Fingern auf sie. Ich selbst stamme aus der gehobenen Mittelschicht; als junger Künstler fühlte ich mich sehr verletzlich und unsicher. Ich wollte daher mit meinen Bildern von etwas erzählen, das mir bekannt war. Niemand sollte mir das wegnehmen und sagen können, es sei bedeutungslos. Wenn Sie meine Bilder betrachten, werden Sie beispielsweise merken, dass die Figuren mit mir gemeinsam älter werden. Ich bleibe bei dem, was ich kenne. Wenn man das Leben nicht liebt, wird man von meinen Bildern ziemlich angepisst sein. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 13.2.2014)